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"Mit Autismus als Störung tu ich mich schwer, ich fühle mich nicht gestört!"

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Blogger und Autist Aleksander Knauerhause und Autismus-Experte Prof. Dr. med. Ludger Tebartz von Elst beeindrucken beim Fachtag "Autismus" des BBW Winnenden und der Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege Winnenden.

Über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßte Vorstand und  Hauptgeschäftsführer Andreas Maurer beim Autismus-Fachtag der Beruflichen Bildung in der Paulinenpflege Winnenden im Winnender Kärcher-Auditorium. Zu den rund 350 Mitarbeitenden der Paulinenpflege gesellten sich 50 Gäste aus der Arbeitsagentur, vor allem Reha-Beraterinnen und -Berater. Auch Firmeneigner Johannes Kärcher, der sich in der Paulinenpflege sozial engagiert, befand sich unter den Gästen.

Der Tag bestand nicht nur aus Vorträgen, sondern auch aus vielen Gelegenheiten zum Erfahrungsaustausch. Die Einführung ins Thema gab Prof. Dr. med. Ludger Tebartz van Elst von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Freiburg. Er überraschte mit einem anschaulichen neurobiologischen Erklärungsmodell für Autismus: Man könne sich ein „normales“ Gehirn als eine Vielzahl lokaler Computernetzwerke vorstellen, die alle per Datenautobahn untereinander verbunden seien. Beim „autistischen“ Gehirn seien diese Netzwerke ebenfalls vorhanden, aber nur teilweise miteinander verbunden. Auf diese Weise seien Schwächen erklärbar, einfach weil fehlende Verbindungen eine spezielle Denkleistung verhinderten. Es könne auch vorkommen, dass einzelne Netzwerke weit besser verbunden seien als im „Normalgehirn“, gleichzeitig hätten diese wenigen Verbindungen anteilig mehr Rechenleistung zur Verfügung. So komme es, wenn auch selten, in Teilbereichen zu Höchstleistungen, sogenannten Inselbegabungen. Ebenso erklärt das Modell (siehe Schaubild) die sehr unterschiedlichen Ausprägungen und Erscheinungsformen des Autismus, je nachdem, wie viele und welche Gehirnbereiche verbunden sind oder nicht.

Heute werde Autismus als neuronale Entwicklungsstörung angesehen, als eine Art Reifestörung des Gehirns, die bereits innerhalb der ersten zehn Lebensjahre auftritt. In den USA geht die Wissenschaft davon aus, dass jeweils eine unter 68 Personen betroffen sei. Gemeinsam sei Autisten ein gewisser Mangel an sozialer Empathie, also das eingeschränkte Erkennen von Stimmungen oder Gefühlen des Gegenübers. Man könne davon ausgehen, dass Autisten in Gesprächen erheblicher Stress entstünde, weil sie ständig auf einer „zweiten Spur“ darüber nachdenken müssten, ob ihre Antworten gestellten Fragen angemessen seien und dass sie nicht in „Sprachfallen“ doppeldeutiger Situationen geraten. Schon in ihrer Kindheit erlebten Autisten, dass mit Ihnen etwas „nicht in Ordnung“ sei, keiner könne ihnen aber sagen, was. Eltern, Lehrer und die meisten Ärzte könnten ihr Verhalten oft nicht deuten.  Gemeinsam sei dem Personenkreis auch ein besonderes Bedürfnis nach Ordnung und Struktur.  

Im Ergebnis sei Autismus daher keine Krankheit. Es handle sich eher um das Vorhandensein spezieller Stärken und Schwächen. Ein guter Erklärungsansatz für das Autistische Syndrom, so Tebartz van Elst, sei in seinen Augen „die lichtere Vernetzung der lokalen Gehirnnetzwerke“.

Ein weiteres Highlight war Aleksander Knauerhase - er berichtete über die „Innenansicht eines Autisten". Der Journalist, Blogger und Buchautor aus Wiesbaden ist selbst Autist und hat sich seit „seiner Diagnose“ vor einigen Jahren auf das Thema spezialisiert. „Mit Autismus als Störung tue ich mir schwer, denn  ich fühle mich nicht gestört. Autismus kann eine Behinderung sein“, stieg er ins Thema ein, wobei es für ihn keinen Unterschied mache, ob er behindert sei oder ob die Gesellschaft ihn behindere. Unser Blick sei oft defizitär orientiert, die Vorteile würden gerne übersehen. Er werde oft als „behindert“ eingestuft. Der Mangel an Empathie werde als Gefühlskälte gedeutet, dies stoße bei Mitmenschen auf Ablehnung oder gar auf Angst.

Ein besonderes Problem sei die Reizüberflutung. Ein „Normalgehirn“ könne im Unterbewußtsein unwichtige Reize wegfiltern und bei den ankommenden Reizen selbstverständlich zwischen wichtig und weniger wichtig, gefährlich und ungefährlich unterscheiden. Er könne das nicht. Alle Reize kämen mit gleicher Intensität an und er verarbeite sie Schritt für Schritt und nacheinander. Ein Zuviel an solcher Information erzeuge Stress. Könne dieser nicht durch Ruhepausen abgebaut werden, führe dies zu Überlastungszuständen. Folge könnten entweder „Ausrasten“ oder Zusammenbruch sein, bis hin zu Hilflosigkeit, weil das Gehirn seinen Dienst versagt.

Knauerhase nannte Beispiele für die verschiedenen Sinne: Höhe Töne seien für ihn schmerzhaft, er müsse diese mit Ohrstöpseln oder Kopfhörern abmildern. Viele Autisten hätten ein übersteigertes visuelles Wahrnehmungsvermögen. Alles im Blickfeld werde gleichzeitig und mit gleicher Intensität wahrgenommen, oft käme Lichtempfindlichkeit hinzu. Riechen könne so intensiv sein, dass künstliche Gerüche wie Parfüm oder Waschmittel zu Atemnot führten. Auch beim Essen seien Autisten oft wählerisch, als Beispiel würde das Kauen von Kartoffelchips sich wie das Beißen auf Glasscherben anfühlen. Wichtigster Sinn für Autisten sei die Haptik, sie würden die Welt gerne buchstäblich begreifen, alles anfassen.

Autisten würden gerne als „Systemsprenger“ empfunden, die „Extrawürste“ wünschten, alles hinterfragten und deshalb Systeme wie z.B. Schulklassen zu sehr belasteten. Er ermutigte dazu, dieses Sprengen von Systemen zu akzeptieren und zu unterstützen und Lösungen herbeizuführen. Denn in aller Regel würden von kleinen Veränderungen, die einem Autisten nützten, auch eine Vielzahl anderer Menschen profitieren.

Im Anschluss daran gab es einen regen Austausch zwischen den Referenten und Teilnehmern - auch die Teilnehmer untereinander berichteten über ihre Erfahrungen und kamen bei den Foren, in denen die verschiedenen Autismus-Angebote der Paulinenpflege vorgestellt wurden, ins Gespräch.

Ein wichtiges Resultat der Veranstaltung war nicht nur die Horizonterweiterung, sondern auch die gemeinsame Erfahrung: Menschen mit Autismus wollen nicht als Menschen mit Defiziten, sondern mit Stärken gesehen werden. Damit arbeiten die verschiedenen Autismus-Angebote der Paulinenpflege schon seit einigen Jahren - der Fachtag hat die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Paulinenpflege Winnenden darin weiter bestärkt.

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