Sportlich, motiviert und total interessiert kommt Ali Ekmekci rüber, wenn man ihn als sogenannten „Ghost-Coach“ in der CrossFit-Box Backnang erlebt. Dabei hat er mit seinen gerade mal 30 Jahren schon einiges durchgemacht. Eine psychische Erkrankung hat ihn und sein Leben vor einigen Jahren aus der Bahn geworfen. „Ich war fast ein Jahr im Zentrum für Psychiatrie. Und dann sollte ich in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht werden. Das wollte ich nicht und so bekam ich die Chance, im Wohnheim der Paulinenpflege auf der Burg Reichenberg wieder an ein selbständiges Leben herangeführt zu werden“.
Der erste Versuch dort im Sommer 2019 scheitert: „Ich war nicht mal einen Tag auf der Burg. Es hat mir das Vertrauen gefehlt, mir hat die fremde Umgebung Angst gemacht.“ Doch die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Paulinenpflege haben ihn nicht aufgegeben, beim erneuten Aufenthalt in der Klinik regelmäßig besucht und so ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut. Der zweite Anlauf auf der Burg klappt – Ali Ekmekcis Augen leuchten bei der Erinnerung daran: „Die Angst war verflogen, ich habe mich mega gefreut, als mich die Mitarbeiter in der Klinik abgeholt haben.“
Die Wohngruppe ist inzwischen von der Burg Reichenberg ins Haus Plattenwald Backnang umgezogen und auch sonst hat sich bei Ali Ekmekci viel getan. „Ali hat sich hier echt gut entwickelt. Manchmal ist er nicht mehr wiederzuerkennen“, freut sich auch Bezugsbetreuer Thomas Kolloch aus dem Haus Plattenwald. In der Wohngruppe ist dann z.B. auch aufgefallen, dass der Klient vieles nicht wahrnimmt. Ein Hörtest bringt seine Hörbehinderung ans Tageslicht. Seitdem trägt er ein Hörgerät: „Ich werde nie sein Grinsen vergessen als er in der Bürotür stand und sagte: Jetzt höre ich alles!“, erinnert sich Thomas Kolloch. Für ihn hat sich damit eine neue Welt aufgetan.
Und nicht nur deshalb - mit Unterstützung des Wohngruppen-Teams und der Reha-Werkstatt der Paulinenpflege hat er sich einen Traum verwirklichen können: „Ich habe zunächst in der Reha-Werkstatt Schläuche geschnitten und verschiedene Produkte verpackt. Das war aber nicht mein Ding. Und da habe ich meinem Arbeitsgruppenleiter Thomas Kastner von meinem Traum erzählt, dass ich gerne in einem Fitness-Studio arbeiten würde“, erinnert sich Ali Ekmekci. Sein Glück: Der Paulinenpflege-Mitarbeiter reagiert nicht mit einem „Träum weiter“, sondern motiviert ihn und sagt: „Geh einfach hin und frag nach!“.
Im CrossFit Backnang hat er zum zweiten Mal Glück, weil er dort auf einen sehr offenen Chef trifft – Adrian Zucker kannte Ali Ekmekci bereits von einigen Trainingsstunden: „Ich habe schon beim Probetraining damals gemerkt – er versteht viel von Bewegung und kann im Training alles ganz schnell umsetzen. Für mich stand von Anfang an nicht seine psychische Erkrankung im Mittelpunkt, sondern sein Verständnis für Bewegung“, erzählt der Backnanger CrossFit-Chef. Und so bekommt Ali Ekmekci im Rahmen eines „betriebsintegrierten Arbeitsplatzes“ der Reha-Werkstatt Backnang einen Arbeitsvertrag bei CrossFit. Das heißt Ali Ekmekci und das Fitnessstudio werden bei Bedarf von Sozialdienst und Job-Coach der Paulinenpflege unterstützt. Gefördert wird dies von der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung.
Bereut hat Adrian Zucker dieses ganz besondere Arbeitsmodell nicht: „Ich bin froh, dass Ali bei uns arbeitet. Bei seiner Vorgeschichte mit viel Leid bringt er jede Menge Empathie und Verständnis mit, das wir hier bei unseren Athletinnen und Athleten auch brauchen. Wir kennen das alle, dass wir an manchen Tagen oder über einen längeren Zeitraum psychisch nicht gut aufgestellt sind.“
Vorurteile gegenüber dem neuen Mitarbeiter hatten weder er noch die Athleten: „Wir sind hier sehr offen. Wir Coaches müssen wissen, was unsere Kundinnen und Kunden bewegt, sonst können wir hier nicht richtig arbeiten. Und wir haben hier einen wichtigen Grundsatz: Wir schicken Niemanden weg!“ erläutert Adrian Zucker.
Als „Ghost-Coach“ begleitet Ali Ekmekci derzeit die anderen Trainer, um zu lernen, auf was zu achten ist. Wenn er die sogenannte „Level 1-Prüfung“ abgelegt hat, darf er auch selbständig andere Athletinnen und Athleten coachen. „Ich denke, dass Ali das in ein bis anderthalb Jahren geschafft hat“, schaut Adrian Zucker weiter optimistisch in die Zukunft. Auch Thomas Kolloch aus dem Haus Plattenwald sieht Ali auf einem guten Weg: „Ich bin mir sicher, dass sich Ali hier weiter durchkämpft – sein Durchhaltevermögen ist beachtlich. Er hat sogar einen Englisch-Kurs bei der Volkshochschule belegt, damit er mit den englischen Begriffen in seinem Job besser zurechtkommt.“
Und sein Chef von CrossFit ergänzt: „Ali hat auch außerhalb des Trainings ein Auge dafür, was erledigt werden muss. Dazu gehören auch Aufgaben wie das Aufräumen und Reinigen der CrossFit-Box. Er ist sich für nichts zu schade.“ Auch bei diesem Lob strahlt Ali Ekmekci über das ganze Gesicht. Sein Traum ist Wirklichkeit geworden – dank seines Durchhaltevermögens und vieler Menschen um ihn herum, die an ihn und seine Fähigkeiten glauben und ihn unterstützen.