Das Eröffnungsreferat zum Thema „Kirchengemeinden und diakonische Unternehmen als Player in einem inklusionsorientierten Sozialraum“ hielt der württembergische Landesbischof Frank-Otfried July. Der Begriff „Inklusion“ prägt die gesamte diesjährige Tagung des Bundesverband evangelische Behindertenhilfe. „Inklusion“ als Ziel der Behindertenarbeit geht auf die UN-Behindertenrechtskonvention zurück, die im März 2009 auch von Deutschland unterzeichnet wurde. Damit verpflichtet sich die Bundesrepublik, dass Menschen mit Behinderungen möglichst normal am gesellschaftlichen Leben – beispielsweise auch was gemeinsamen Schulbesuch und Wohnen angeht – teilnehmen können. Die großen diakonischen Einrichtungen reagieren zunehmend auf dieses Anliegen. So werden zunehmend Außenwohngruppen in normalen Wohngebieten eingerichtet und bisherige Behindertendörfer aufgelöst. Dazu Bischof July: „Der Inklusionszug ist nicht mehr aufzuhalten“. Aufgrund ihrer Jahrzehnte langen Erfahrung in der Förderung gehörloser und sprachbehinderter Menschen wissen die Mitarbeiter der Paulinenpflege aber auch, dass für gehörlose Jugendliche ein Besuch einer Regelschule ohne weitgehende Unterstützung zu wesentlich schlechteren Schulleistungen führt, als wenn sie in einer für sie konzipierten Schule gezielt gefördert werden. In der Paulinenpflege erwerben viele gehörlose und sprachbehinderte Schülerinnen und Schüler den Realschulabschluss oder die Fachhochschulreife – häufig auch solche, die zuvor an Regelschulen gescheitert sind. Ein berufliches Gymnasium ist geplant. Im Zuge der „umgekehrten Inklusion“ will die Paulinenpflege ihre Bildungseinrichtungen auch für nichtbehinderte Schüler öffnen, damit junge Menschen mit und ohne Behinderungen miteinander und voneinander lernen können.
Bischof July war von 1996 bis 2005 Direktor des Evangelischen Diakoniewerkes Schwäbisch Hall gewesen. Bei seinem Wechsel aus der Diakonie zum Amt des Landesbischofs habe er „Kulturdifferenzen und mangelnde Kenntnisnahme der jeweiligen Situation“ zwischen den Kirchengemeinden einerseits und den diakonischen Einrichtungen andererseits wahrgenommen. In den meisten Kirchengemeinden gäbe es dieselben Berührungsängste mit Menschen mit Behinderungen wie in der Gesellschaft insgesamt. Kirchengemeinden müssten aber zunehmend verstehen, dass nach biblischem Verständnis alle Menschen zusammen den „einen Leib“ Jesu Christi bilden. Er habe die „Vision von einer Gesellschaft“, so der Bischof, „in der alle Menschen ihren je eigenen Platz haben, mit ihren Gaben und ihrem Person-Sein“. Kirchengemeinden seien Teil des Sozialraumes. Sie hätten viele Möglichkeiten, „Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam Heimat zu geben.“
Unter den 350 Teilnehmern der Tagung sind auch viele Aussteller – meist Vertreter von Firmen, die Produkte oder Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen oder für Behinderteneinrichtungen anbieten.