„Jede einzelne Begegnung mit meinen Menschen mit Behinderung zeigt mir, warum ich das hier alles gemacht habe. Die Highlights meines Berufslebens in der Paulinenpflege sind meine Bewohnerinnen und Bewohner“, sagt Susanne Gebert-Ballmann an einem ihrer letzten Arbeitstage als Bereichsgeschäftsführerin der Wohnangebote Behindertenhilfe. Und auch ohne diesen Satz wissen alle, mit wie viel Herzblut sie sich immer für ihre Klienten und ihren gesamten Geschäftsbereich eingesetzt hat.
Eigentlich wollte die 65-jährige Sozialpädagogin Lehrerin werden, doch eine Hospitation in der Stiftung Lichtenstern während ihres Berufskolleg-Besuchs lenkte ihre Karriere um. „Damals habe ich gemerkt, dass mein Herz für behinderte Menschen schlägt“, erinnert sich Susanne Gebert-Ballmann. Und so begann sie 1973 ihre Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin auf der Hangweide der Diakonie Stetten. 1981 startet sie ihr Sozialpädagogik-Studium. „Als Sozialpädagogin wollte ich auch andere Bereiche der sozialen Arbeit kennenlernen, doch dort gab’s damals keine passende Stelle und so bin ich wieder in der Behindertenhilfe gelandet.“
Das war im Dezember 1985 und ihr Start in der Paulinenpflege als Gruppenleiterin einer Wohngruppe, die es noch gar nicht gab: „Mitte der Achtziger war im Stadtbereich Winnenden vieles im Umbruch. Die Azubis und die Verwaltung sind ins neu erbaute Berufsbildungswerk nach Schelmenholz gezogen, so konnten wir in der Behindertenhilfe unsere Wohngruppen neu strukturieren und erweitern. Mein Auftrag war es, gemeinsam mit einer Kollegin die jungen gehörlosen Frauen aus dem Heinrich-Bässler-Haus ins Ex-Verwaltungsgebäude in die Schloßstraße umzuziehen und dort eine Außenwohngruppe aufzumachen.“
Und damit war selbständige Kreativität und kraftvolles Anpacken angesagt. „Wir haben uns alte, ausgemusterte Möbel von anderen Wohngruppen zusammengesucht und diese dann mit den Hausmeistern in die Schloßstraße rübergeschleppt. Das war einfach toll, es war von Anfang an unsere Gruppe, wir konnten alles frei gestalten“, freut sich Susanne Gebert-Ballmann noch heute. Acht gehörlose Frauen aus dem sogenannten „Frauenasyl“ durften dann im Januar 1986 hier einziehen. „Obwohl wir nur zwei Mitarbeiterinnen waren und damit auch jeden Tag auch eine Nachtbereitschaft abdecken mussten, war das für mich fast paradiesisch. Vom Schwerbehindertenbereich auf der Hangweide zu ziemlich selbständigen gehörlosen Menschen – ich habe den Gruppendienst oft nicht als Arbeit empfunden. Auch die Sonntagsdienste habe ich geliebt – nachmittags auf dem durchgesessenen Sofa zu sitzen und sich die Anekdoten meiner Bewohnerinnen anzuhören.“
Wenig später kam das sogenannte „Maierhaus“ in der Ringstraße mit sechs gehörlosen Männern dazu: „Auch hier war die Kommunikation am wichtigsten und so haben wir ganz schnell die Gebärdensprache gelernt – teilweise von den Klienten und dann auch in ersten die Gebärdensprach-Kursen, die damals in der Paulinenpflege gestartet sind.“
Bis heute sind ihr viele Originale in Erinnerung geblieben: „Ein Gehörloser wurde noch vor dem Mauerfall in der DDR einfach in den Zug gesetzt und zu uns rübergeschickt. Da stand er dann irgendwann bei uns vor Tür. Sein Traum war ein Videorekorder, den wir dann für ihn organisiert haben. Dafür hat er sein Kleidergeld vom Sozialamt auf einmal für eine Lederjacke auf den Kopf gehauen.“ Zu Herzen gegangen ist ihr in dieser Zeit eine Begegnung mit einer älteren Dame aus Winnenden, die ihr drei runzlige Äpfel überreicht hat mit den Worten: „Das ist für die armen Behinderten. Ich bin froh, dass ich gesund bin – da will ich gerne was abgeben.“ Vermutlich hatte die Frau selbst nicht genug zu essen. „Das hat mich berührt und auch geerdet. Jemand gibt was, obwohl sie selbst fast nichts hat.“
Und so ist Susanne Gebert-Ballmann auch mit der Berufung zur Heimleitung 1991 nie abgehoben, schon gar nicht als aus diesem Posten im Jahr 2003 die Bereichsgeschäftsführung der Wohnangebote Behindertenhilfe wurde. Obwohl In dieser Zeit in diesem Bereich viel passiert ist: „Als ich die Heimleitung übernommen habe, war ich für knapp 100 behinderte Menschen in Wohngruppen in Winnenden, auf dem Paulinenhof und in Backnang zuständig. Heute sind es rund 550 Klienten inklusive vielen im ambulant betreuten Wohnen. Die Mitarbeiterzahl ist von 60 auf über 300 gestiegen.“ In ihrer Leitungszeit kamen große Wohnprojekte wie die neuen Wohnheime auf dem Paulinenhof, die Wohnstätte Murrhardt, die Blaue Arche, das Martin-Gruner-Haus Winnenden und die Alte Post Backnang sowie die Übernahme der Burg Reichenberg dazu. Bis zu ihrem Ruhestand hat sie nun noch die Wiedereröffnung des Haus Plattenwalds in Backnang begleitet. Alles in letzter Zeit unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesteilhabegesetzes, die so manches nicht gerade vereinfacht haben.
Stolz ist sie auf das Anwachsen ihres Bereichs nicht, sondern dankbar: „Ich hatte als Geschäftsführerin einen tollen Arbeitsplatz, an dem ich selbständig arbeiten und vieles weiterentwickeln konnte. Das alles war nur als Teamwork mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglich. Und wir haben wirklich motivierte Leute, deren Herz für unsere Bewohner schlägt. Das ist das Allerwichtigste.“ Auch ihrem Arbeitgeber stellt sie ein sehr positives Zeugnis aus: „Die Paulinenpflege ist ein absolut guter Arbeitgeber, bei dem der Klientenwunsch immer im Mittelpunkt steht.“ Was ihr im Ruhestand nicht fehlen wird: „Das Betriebswirtschaftliche und Mitarbeiterzeugnisse-Schreiben. Und so manch harte Entscheidung gegenüber Mitarbeitern. Das hat mir oft mehr wehgetan als den Betroffenen selbst.“
Nun freut sie sich auf den Ruhestand: „Ich bin mir sicher, dass es eine große Erleichterung ist, keine Verantwortung mehr zu haben. Ich kann einfach erleichtert ins Bett fallen, ohne mir Gedanken zu machen, wie ich dies oder das am nächsten Tag löse. Das war besonders in der Pandemie oft belastend.“ Ihrem Bereich, der in den letzten Monaten neu strukturiert wurde und nun unter „Leben und Teilhabe“ firmiert, wünscht sie: „Ich hoffe, dass die neue Struktur mit Leben gefüllt und dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut begleitet werden.“
Eigentlich sollte Susanne Gebert-Ballmann mit einem Gottesdienst verabschiedet werden, der nun aus Corona-Gründen auf ungewisse Zeit verschoben wurde. Ihr Chef und Vorstand Andreas Maurer gibt ihr jetzt schon mit auf den Weg: „Bleiben Sie auch im Ruhestand wie sie sind – ein Herzensmensch bei aller Klarheit“. Und eine ihrer Mitarbeiterinnen fasst es auf der Facebook-Seite der Paulinenpflege so zusammen: „Schade, dass sie geht. Das war eine tolle Frau. Aber der Ruhestand sei ihr von Herzen gegönnt nach der großartigen Arbeit, die sie jahrelang in der Paulinenpflege geleistet hat.“
Nachfolgerin von Susanne Gebert-Ballmann ist seit Anfang des Jahres Heilerziehungspflegerin und Sozialmanagerin Nadine Schüler. Sie ist ein Eigengewächs der Paulinenpflege und war zuletzt Gruppenleiterin des Seniorentreffs Winnenden.