Irgendetwas ist anders am Dienstagabend in der Zentralküche der Paulinenpflege Winnenden: Es wird zwar - wie sonst auch - eifrig gearbeitet und es duftet gut, aber statt der hörgeschädigten Koch-Auszubildenden des Berufsbildungswerks stehen Arthur, Marc, Rudolf und Stelios an den Kochtöpfen. Sie machen einen ganz besonderen Kochkurs. Vor Ihnen liegen Rezepte, die außergewöhnlich gestaltet sind: Im Vordergrund sind große Fotos, darüber mit einer Folie die Blindenschrift „Braille“ geklebt, von der die Zutaten für Cannelloni Bolognese abgetastet werden können.
Die vier „Lehrlinge“ sind taubblind, d.h. sie können nicht hören und sind blind bzw. sehr stark sehbehindert. Trotzdem arbeiten sie fast schon wie die Profis. Kursleiter und Koch Rosario Gozza, der normalerweise hör- und sprachbehinderte Jugendliche ausbildet, ist von Arthur, Marc, Rudolf und Stelios, die in den Wohnheimen der Paulinenpflege wohnen bzw. ambulant betreut werden, begeistert: „Ich bin überrascht, wie gut sich die taubblinden Menschen anstellen. Meine gehörlosen Azubis schneiden sich am Anfang der Ausbildung öfter mal in den Finger. Das ist diesen vier hier noch nie passiert!“
Und tatsächlich schneiden die Kursteilnehmer akkurat, schnell und sicher die Zutaten für das italienische Gericht, das heute am vierten Abend auf dem Fortbildungsplan steht. Wichtig ist, dass jeder taubblinde Bewohner seinen eigenen Arbeitsplatz in der Großküche hat und dort alles verlässlich steht und stehen bleibt. Immer wieder unterstützt Koch Gozza die vier Kochkurs-Teilnehmer. Besonders interessant ist die Kommunikation mit Marc, der völlig blind ist. Hier nimmt Rosario Gozza, der selbst schwerhörig ist, die Hand des „Lehrlings“ und führt mit dieser die Gebärde aus. Missverständnisse gibt es nicht, Marc führt sicher den nächsten Arbeitsschritt aus. Auch das Arbeitstempo überrascht: „Oft muss ich Marc eher abbremsen, weil er zu schnell und übereifrig ist,“ erzählt Gozza.
Über die Anfrage des Fachdienstes für Taubblindenarbeit in der Paulinenpflege hat er sich sehr gefreut: „Für mich war das was ganz Neues und eine echte Herausforderung mit Menschen zu arbeiten, bei denen gleich mehrere Sinne beeinträchtigt sind“. Sagt’s und läuft schon zum nächsten Kochkursteilnehmer und assistiert ihm, als hätte er noch nie was anderes gemacht. Mit dabei im Kurs ist auch Sigrid Andrä vom Taubblinden-Fachdienst der diakonischen Einrichtung, sie hatte gemeinsam mit ihrem Arbeitskreis die Idee, taubblinden Menschen in der Paulinenpflege, diesen Kochkurs zu ermöglichen. „Unser Ziel ist es, die Ressourcen, die unsere Bewohner mitbringen, weiter zu fördern und zu erhalten. Auch wenn sie nicht sehen und hören können, so sind andere Sinne besser ausgebildet wie riechen, schmecken und fühlen und die sind doch fürs Kochen ideal!“
Neben dem Kochkurs bietet Sigrid Andrä und ihr Team in der Taubblindenarbeit regelmäßige Einzelförderung im lebenspraktischen Bereich an, geht mit Bewohnern in die Stadt und macht dort mit ihnen ein Mobilitäts- und Orientierungstraining oder erlernt ihnen die spezielle Taubblindensprache, das Lormen. Ein echter Renner unter den Bewohnern in der Paulinenpflege ist auch der Gebärdenchor, in dem Lieder in Gebärdensprache vorgetragen werden und die Trommelgruppe, die auch bei verschiedenen Veranstaltungen außerhalb der Paulinenpflege kräftig einheizt.
Nach zwei Stunden stehen die Canelloni im Ofen und die Bewohner sind gespannt: Die vierte Einheit ist nämlich zugleich auch die letzte in diesem Kurs und somit freuen sich alle auf den festlichen Abschluss, bei dem das leckere Essen dann gemeinsam gegessen wird. Neben riechen, schmecken und fühlen ist in diesem Kurs nämlich auch das Genießen ganz wichtig. Eine Fortsetzung des Kochkurses ist bereits angedacht. Na dann: Guten Appetit!