Das ehemalige Kinderdorf der Paulinenpflege in Winnenden-Schelmenholz ist seit ein paar Monaten neu belebt. Schon von weitem duftet es auf dem Gelände nach Essen. In der Küche eines Wohnhauses steht Wasim und wartet darauf, dass die Pommes für das Abendessen die richtige Farbe bekommen. Fadi deckt den Tisch und die anderen Jugendlichen kommen langsam aus ihren Zimmern in den Gemeinschaftsraum. Ihre bewegte Geschichte ist ihnen auf den ersten Blick nicht anzusehen - dabei sind sie alle aus Syrien geflüchtet. Trotz dieser Vorgeschichte sind sie fröhlich und freuen sich über Besuch.
Natürlich es gibt auch andere Momente, wie Wohngruppen-Leiter Alexander Kratz erzählt: „Nicht alle öffnen sich, aber viele erzählen von dem, was sie erlebt haben und das lässt oft nur erahnen, warum sie nach Deutschland geflüchtet sind“. Auf der Wohngruppe von Jugend- und Heimerzieher Alexander Kratz sind derzeit sechs junge Flüchtlinge, im angebauten Nebenhaus nochmals sieben. Die meisten kamen aus den Erstaufnahmestellen in Baden-Württemberg.
Für Alexander Kratz und seine Kolleginnen ist der Job eine spannende Herausforderung. Gestartet wurde die Wohngruppe für Flüchtlinge in Oktober 2015 ohne viel Vorlauf. Der Rems-Murr-Kreis hatte angefragt und die Paulinenpflege hat schon wenige Wochen später die ersten jungen Flüchtlinge aufgenommen. Zur Vorbereitung blieb nicht viel Zeit. „Wir sind bezüglich dieses Personenkreises ins kalte Wasser geworfen worden, da es ja nur wenig Vorerfahrungen gab. Es hat aber keiner der Kollegen bereut – im Gegenteil: Die Arbeit ist so vielseitig wie sonst nirgends.“ freut sich Kratz‘ Kollegin Nadine Daiß. Es ist ihre erste Stelle nach dem DHBW-Studium der Sozialpädagogik.
Während sie erzählt, sitzen alle am Tisch und berichten, teils auf arabisch oder auch auf deutsch, was sie heute so alles erlebt haben. Sultan freut sich schon besonders auf den Gitarrenunterricht, den er nach dem Abendessen bekommt. Ein ehrenamtlicher Gitarrenspieler aus Winnenden unterrichtet ihn einmal pro Woche. Neben den Fachkräften der Paulinenpflege sind die Ehrenamtlichen sehr wichtig für die Wohngruppe.
So geben sie nicht nur Gitarrenunterricht, sondern auch Deutsch-Nachhilfe, andere bieten eine Tischtennis-AG bzw. ein Kunstprojekt an. Als Dankeschön hat Sultan für alle ein „Festessen“ gekocht, u.a. gab es Molokhia, Schawarma, gelben Curry-Reis, Hühnchen, Salat sowie Taboulé. Alles Gerichte aus Sultans Heimatland. Integration findet aber nicht nur in dieser Form auf der Wohngruppe statt, die Jugendlichen gehen auch raus. Einige arbeiten z.B. in einer Fahrrad-Werkstatt.
Beschäftigt sind die Jugendlichen auch sonst: Auf der Wohngruppe gibt es einen Ämterplan – im monatlichen Wechsel sind sie für bestimmte Tätigkeiten auf der Wohngruppen verantwortlich.
Es gibt aber nicht nur erfreuliche Momente auf der Wohngruppe. Die teilweise traumatischen Erlebnisse, die die Flüchtlinge mitbringen, sind natürlich immer wieder Thema. Oft geht die Angst um, wie es den Angehörigen zu Hause in Syrien geht. Auch die Entwicklungen in Deutschland sorgen manchmal für Unruhe in der Wohngruppe: „Oft werden auch die Asylgesetz-Änderungen thematisiert. Das sorgt für Gerüchte, die dann so nicht stimmen. Hier müssen wir uns auch immer genau informieren, damit wir den Jugendlichen Tatsachen vermitteln können. Auch die Ereignisse an Silvester in Köln sorgten für Aufregung, unsere Jungs hatten Angst, dass nun alle über einen Kamm geschoren werden“, erzählt Alexander Kratz.
Vieles wird in vielen Einzelgesprächen in der Wohngruppe aufgearbeitet. Einmal in der Woche ist eigens dafür ein Gruppenabend mit Dolmetscher. „Die Verständigung klappt auch ohne Dolmetscher erstaunlich gut. Die Wohngruppen-Bewohner sind vormittags in der Berufsschule der Paulinenpflege Winnenden im sogenannten VABO und lernen dort schwerpunktmäßig deutsch. Bei schwierigen Themen ist es dann aber besser, wenn ein Dolmetscher dabei ist“, erklärt Sozialpädagogin Nadine Daiß.
Manches übersteigt aber auch die Möglichkeiten der Wohngruppe. So sind einige der Jugendlichen auf der Warteliste für „Refugio“, eine Beratungsstelle für Flüchtlinge mit psychischer Belastung. Wichtig ist die Vernetzung mit den verschiedenen Hilfsangeboten, die es für Flüchtlinge gibt. So sind viele auch auf regelmäßige Arztbesuche angewiesen, da die gesundheitliche Grundverfassung nach der Flucht nicht so gut ist.
Für einige Jugendliche sind die Wohngruppen in Winnenden-Schelmenholz nur eine kurze Durchgangsstation, wie Alexander Kratz weiß: „Bei drei Jugendlichen ist ein Wechsel in eine Gastfamilie angedacht.“ Die Wohnplätze werden allerdings nicht lange leer bleiben, denn es stehen viele junge Flüchtlinge auf der Warteliste. Zudem macht die Paulinenpflege Winnenden in diesen Tagen in Schorndorf weitere Wohngruppen für junge Flüchtlinge auf. Geplant ist auch ein „Ankommens-Haus“.
Für sämtliche Wohnangebote werden weiterhin pädagogisch Fachkräfte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht – die Jobangebote sind auf www.jobs.paulinenpflege.de zu finden.