„Nein, damals war nicht alles besser, nur einfach manches anders“, erinnert sich Wolfgang Fischer an seine Anfänge in der Paulinenpflege zurück. 1981 war der Zivildienst der Einstieg in sein Berufsleben – damals war er zum einen in der Druckerei des Berufsbildungswerks Winnenden und zum anderen auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Paulinenpflege tätig. „Ich bin damals Fotograf, Reprograph und Azubi-Anleiter in einer Person gewesen“, erzählt der 64-Jährige. Anders als heute war zu seinen Berufsanfängen z.B. die Größe der Paulinenpflege: „Damals hatte ich in der gesamten Einrichtung knapp 300 Kolleginnen und Kollegen, heute sind es über 1.500. Da ging es natürlich noch etwas familiärer zu, weil man fast alle persönlich kannte.“
Während des Zivildienstes kam die Erkenntnis, dass er weiter mit Menschen in der Paulinenpflege arbeiten möchte und begann die Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher. Und so bleibt Wolfgang Fischer auch nach dem Zivildienst dem etwas anderen „Familienbetrieb“ treu. Seine erste Stelle war im Haus Plattenwald Backnang, in dem damals die Werkstufen-Schüler untergebracht waren. Ende der 80er wird er Gruppenleiter der Internatsgruppe der Werkstufe (heute: Berufsschulstufe), die inzwischen nach Winnenden umgezogen war. Seit 2007 ist er Teamleiter für bis zu fünf Internatsgruppen ebenfalls mit Schülerinnen und Schülern aus der Berufsschulstufe.
Zu den hör- und sprachbehinderten Jugendlichen mit geistiger Behinderung kamen im Lauf der Jahre auch immer mehr Autisten dazu: „Das war eine zusätzliche Herausforderung und Herzensaufgabe zugleich. Aber auch darauf haben wir uns eingestellt“, erzählt Wolfgang Fischer. „Es ist im Prinzip egal, welche Behinderung ein Mensch hat – wichtig ist immer, dass man ihn dort abholt, wo er steht. Wir müssen uns als Erzieher auf die gleiche Ebene, also auf Augenhöhe zum Klienten begeben. Und das Allerwichtigste ist, dass man seinen Job mit viel Herzblut macht.“ Er bezeichnet das als „PP-Blut“. Dabei blättert er ein wenig wehmütig in einem großen Foto-Album und einem XXL-Kalender mit vielen Erinnerungs-Fotos aus vierzig Arbeitsjahren – beides hat er zum Abschied geschenkt bekommen.
Und nicht nur dort finden sich viele unvergessliche Begebenheiten, die Wolfgang Fischers Berufsleben zu einem ganz besonderen gemacht haben: „Als wir anlässlich eines Ausflug zu Hause bei meiner Familie waren, ist ein autistischer Schüler plötzlich im Kinderzimmer meiner Kids verschwunden und hat dort die Legosteine sortiert. Oder als ich zu einem Schüler mal entnervt gesagt habe: ‚Du bringst mich noch mal in die Psychiatrie!‘ entgegnet er ganz trocken: ‚Dann besuche ich dich dort!‘ Das sind unbezahlbare Momente.“
Langweilig wurde es ihm, seinem Team und den Klienten nie. „Man muss Ideen haben, um die Jugendlichen zu packen. Ich werde nie vergessen, wie wir im Stadtbereich mal eine Kastanienkette vom Wohnhaus in der Ringstr. 108 zur Wohngruppe in der Paulinenstraße 18 gespannt haben. Alle waren begeistert, nur der damalige Architekt der Paulinenpflege nicht. Und so mussten wir sie schnell wieder abhängen. Für die Jugendlichen ist es aber trotzdem eine beeindruckende Aktion gewesen“, auch bei den Erinnerungen an diesen „Bubenstreich“ funkeln die Augen des Jugend- und Heimerziehers. Etwas ganz Besonderes war es auch, wenn er die Entlassschüler an ihrem letzten Schultag mit seinem „Schulbus“, einer zum „Bus“ umfunktionierten Schubkarre, von der Wohngruppe zur Schule gefahren hat.
Und nicht nur die Internatsschüler liegen ihm an Herzen: „Ich bin stolz, dass viele, die bei mir als Freiwilligendienstleistende oder Azubis angefangen haben, nun immer noch da und teilweise auch Teamleiterinnen oder Teamleiter geworden sind. Es war immer schön, Kollegen über einige Jahre begleiten und fördern zu dürfen“. Als besonders positiv bei seiner Arbeit empfindet er auch die gute Mischung aus Jung und Alt in seinem Team: „So können die Kolleginnen und Kollegen voneinander lernen und profitieren.“
Auch Wolfgang Fischer hat davon profitiert, dass er gute Wegbegleiter hatte: „Meinem ersten Chef, Schriftsetzer Martin Halbgewachs, habe ich viel zu verdanken. Er und seine Frau, die damals Hauswirtschafterin in der Paulinenpflege war, sind für mich bis heute gute Ratgeber, Sorgenfresser und Freunde geblieben“. Dankbar ist er auch seiner Familie: „So einen Job mit Schichtdienst kannst Du ohne Unterstützung der Familie nicht machen. Ich war durch die Nachtdienste in vielen Nächten nicht daheim. Das war für meine Frau auch nicht immer einfach, aber sie hat es mitgetragen. Es hat sich gelohnt, ich hatte nämlich über 40 Jahre immer einen schönen und sicheren Arbeitsplatz. Für mich war das hier mehr als ein Beruf, ich würde es jederzeit wieder machen.“
Nächsten Monat sind die einsamen Nächte vorbei und Wolfgang Fischer freut sich auf seinen Ruhestand, in dem er sich einiges vorgenommen hat: „Ich werde viel werkeln, u.a. ein Gartenhaus und ein Glasdach für die Terrasse bauen. Und vielleicht engagiere ich mich in meinem Heimatort als ehrenamtlicher Fahrdienst-Mitarbeiter. Außerdem warten fünf Enkel darauf, dass der Opa endlich mehr Zeit für sie hat.“
Seinem Bereich in der Paulinenpflege wünscht er, dass er ein Stück weit „familiär“ bleibt. So wie früher die gesamte Paulinenpflege war. „Das brauchen unsere Schülerinnen und Schüler am meisten.“