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„Ich habe den Kindern geholfen, leere Schrankfächer mit Erfahrungen zu füllen…“

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Ulrike Koglin-Haug blickt auf fast zwei Schuljahre „Soziale Gruppenarbeit“ an der Schlosswallschule Schorndorf zurück. „Der Umgang der Kinder war manchmal gnadenlos, aber wenn mal ein Schimpfwort gefallen ist, dann hab ich mir sagen müssen, die meinen nicht mich, sondern genau das ist ihr Problem und deshalb sind sie hier. Man muss die Kinder abholen, wo sie stehen“, erzählt Erzieherin Ulrike Koglin-Haug über die Anfänge der „Sozialen Gruppenarbeit“ der Paulinenpflege Winnenden an der Schlosswallschule Schorndorf.

Damit ist klar, dass diese Arbeit, die als sehr niederschwelliges Angebot des Jugendamts gilt, nur mit viel Reflektion, Energie und Herzblut gemacht werden kann. Seit Januar 2012 treffen sich fünf Kinder aus der Schlosswallschule jeden Donnerstagnachmittag für vier Stunden mit Ulrike Koglin-Haug, um mit ihr an ihren Problemen zu arbeiten.

Dabei handelt es sich um Schülerinnen und Schüler, die über die schulische Betreuung hinaus, Unterstützungsbedarf haben. Den Bedarf meldet im Vorfeld die Schule an, in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt werden dann die Kinder ausgewählt, die an der Sozialen Gruppenarbeit teilnehmen sollen. Hier geht es nicht um Hausaufgabenbetreuung, sondern darum, Sozialverhalten zu lernen: Wie gehe ich mit mir und meinem Umfeld um. Welche Regeln gibt es im Zusammenleben und wie kann ich diese einhalten. Diese spannende Herausforderung bearbeitet die Erzieherin, die bei der Paulinenpflege Winnenden angestellt ist, nicht in künstlichen Gesprächsrunden, sondern mitten drin im lebenspraktischen Alltag. „Am Anfang in der Kennenlernphase haben wir in den Kernzeiträumen der Schlosswallschule gemeinsam Apfelmus gekocht und in Gläser eingedünstet“, berichtet Koglin-Haug. Dabei entwickeln sich dann wichtige Gespräche, wenn dann z.B. am Spülbecken die Aussage von den Jungs kommt: „Spülen, das machen die Weiber“. So eine Aussage wird in der Tat natürlich sofort aufgegriffen und gezeigt, dass Jungs durchaus stolz drauf sein können, wenn sie sich beim Spülen und in der Küche auskennen, oder sich zum Sternekoch qualifizieren . „In der lockeren Form in der Lebenspraxis komme ich den Kindern viel näher“, erläutert Koglin-Haug.

Besonders wichtig sind für Ulrike Koglin-Haug auch Projekte innerhalb ihrer Sozialen Gruppenarbeit, daher war es ihr auch wichtig, dass es wöchentlich nicht zwei Nachmittage á zwei Stunden, sondern ein Nachmittag á vier Stunden gibt. „Da kann ich ganz andere Dinge machen und mit den Kindern z.B. auch mal wegfahren“. Das erste Projekt fand im Wald statt. Zusammen mit dem Revierförster hat sich die Erzieherin überlegt, was kann ich den Jungs bieten, die auch mal was „Gefährliches“ machen wollen. Den Kindern wurden Arbeitshandschuhe besorgt und Heckenscheren anvertraut und sie durften Waldwege vom Gestrüpp freischneiden. „Meinen Kindern gefiel, dass der Förster gesagt hat, hier müsst ihr überhaupt nicht zimperlich sein, schneidet ruhig richtig viel weg, damit die Wege wieder frei sind“. Nach drei Nachmittagen waren die Kinder stolz auf ihr Werk. Einige zeigten die befreiten Waldwege auch bei den Sonntagsspaziergängen ihren Eltern. Und nicht nur das: Als Anerkennung fuhren Koglin-Haug und die Kinder zum Erfahrungsfeld der Sinne „Eins und Alles“ in die Laufenmühle bei Welzheim.

Auf dieses Projekt folgten noch viele weitere, z.B. Soziale Gruppenarbeit auf der Streuobstwiese, die Koglin-Haug von der Ortsvorsteherin in Buhlbronn zugewiesen bekam. Hier konnten sich die Kinder mit der Rüttelstange richtig austoben und den Apfelregen genießen. Dabei lernten sie aber auch, dass nach dem Vergnügen die nicht ganz so angenehme Arbeit des Apfelauflesens kam. Motiviert wurden die Jungs und Mädels dann wieder vom Anblick des Anhängers, der durch die vielen Äpfel immer bunter wurde und mit der Aussicht auf Apfelsaft und Apfelkuchen. Nach dem Pressen der Äpfel durfte jedes Kind eine kleine Kiste Apfelsaft, gewonnen aus den „eigenen“ Äpfeln, mit nach Hause nehmen.

Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch auf dem Demeterhof Engelberg bei Bauer Luber. Dieses Projekt war nur möglich durch eine Spende der Arbeitsgemeinschaft „Schorndorfer Weiber“ e.V. und bescherte den Kindern vier außergewöhnliche Nachmittage bei Tieren, die an Menschen gewöhnt sind. Hier durften die Schüler Schweine duschen und Kühe melken. „Auch hier war es wichtig, dass sich die Kinder ausprobieren konnten. Neben dem Lernen, dass es auf einem Bauernhof keine Giraffe gibt und die Milch nicht aus dem Tetrapack kommt, geht es auch ganz viel um das Selbstwertgefühl. Jemand, der in der Schule in manchen Fächern nicht gut ist, kann auf dem Bauernhof mit anderen Stärken glänzen“, beschreibt Ulrike Koglin-Haug eine weitere wichtige Aufgabe der Sozialen Gruppenarbeit.

Am eindrücklichsten war der Besuch der Kinder im Pflegeheim Karlsstift, das direkt neben der Schule ist. „Da gehe ich nicht hin!“ war die erste Reaktion von einigen Schülern. Selbst die sonst so coolen Jungs hatten plötzlich Ängste, dieses Heim zu betreten. Und so führte Ulrike Koglin-Haug die Schüler behutsam an das Thema heran: „Zunächst sind wir nur ganz unverbindlich in der Eingangshalle gestanden und haben dort das Geschehen beobachtet“. Und siehe da: Es gab nichts Schlimmes zu sehen. So besuchten die Schüler gemeinsam mit Koglin-Haug an mehreren Nachmittagen die Bewohner des Heims und brachten ihnen Bastelarbeiten, Geschichten und Herbstgrüße mit. „Plötzlich waren die Kinder in der Rolle des Anleiters. Das hat allen viel Freude gemacht“. Auch der selbst gepresste Apfelsaft der Kinder sorgte für glänzende Senioren-Augen. „Das nächste Mal bekommen die aber was von uns“ war das berührende Resümee der Pflegeheim-Bewohner.

Mit dem Schuljahr endet nun für Ulrike Koglin-Haug die Tätigkeit für die Soziale Gruppenarbeit an der Schlosswallschule, sie wird aber weiterhin als Erzieherin im Kinder- und Jugendbereich arbeiten. „Wer ernten will, muss säen! Es ist schön zu sehen, wie die Kinder in der Sozialen Gruppenarbeit gereift sind“. Ich konnte gut ernten: Der Umgang miteinander ist viel netter geworden. Sie kennen nun Regeln und können sie auch immer öfter einhalten.“ Inzwischen sind die Kinder anderthalb Jahre älter und es steht nun die nächste Herausforderung an – die Pubertät: „Ich merke, dass ich mit einigen schönen Aktionen, die wir gemacht haben, jetzt nicht mehr landen könnte. Dennoch hoffe ich, dass sie die Zeit in der Sozialen Gruppenarbeit geprägt hat und dass die Kinder sich gerne an die Zeit zurück erinnern.“

Der Erzieherin ist es auch wichtig, dass die Kinder Alternativen zu den vielen High-Tech-Gerätschaften wie Smartphones, PCs oder Fernseher kennen gelernt haben: „Ich habe den Kindern, die mir anvertraut waren geholfen, leere Schrankfächer mit Erfahrungen mit allen Sinnen zu füllen. Und ich glaube, sie werden diese Dinge, die in diesen Fächern liegen, eines Tages wieder herausholen. „Was in einem Schrank nicht drin ist, kann man auch nicht rausholen“, und nicht nur bei diesen Sätzen spürt man, wie viel Herzblut von Ulrike Koglin-Haug in der Sozialen Gruppenarbeit drin steckt.

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