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Von jetzt auf gleich ist alles anders - das ist der Arbeitsalltag in der Inobhutnahmestelle "KI(C)K

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Das Telefon klingelt. Es ist mitten in der Nacht. Drei Jugendliche suchen Schutz. Ihre jetzige Situation ist unerträglich für sie. Jetzt ist das Team vom Schutzhaus KI©K des Jugendhilfeverbunds der Paulinenpflege Winnenden gefragt.

KI©K hat sich zum Ziel gesetzt, jungen Menschen in Krisensituationen einen Schutzraum zu bieten. Diese Hilfe muss schnell, direkt und intensiv erfolgen, damit die Krise unmittelbar entschärft werden kann. Im Schutzhaus von KI©K kann sich dadurch innerhalb weniger Minuten alles ändern. Ein Anruf genügt und schon werden drei neue Jugendliche im Schutzhaus aufgenommen, die aus ihrer für sie unerträglichen Situation flüchten möchten. Für maximal 42 Tage können sie den Schutz von KI©K der Paulinenpflege Winnenden in Anspruch nehmen, dann muss für sie eine neue Lösung gefunden werden. Jugend- und Heimerzieherin Jasmin Vennemann erzählt: „Es kann sein, ich bin eine Woche im Urlaub, komme zurück und kenne keinen Jugendlichen mehr.“ So schnell kann sich die Belegung im KI©K ändern.

Jasmin Vennemann ist eine der sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des KI©K-Teams, von denen mindestens eine oder einer rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr vor Ort erreichbar ist. Geleitet wird das Team von Abteilungsleiter Markus Gentner und unterstützt wird es nun erstmals von zwei DHBW-Studierenden.

Insgesamt können in dem Schutzhaus von KI©K bis zu sechs Kinder und Jugendliche aufgenommen werden. In Notsituationen kann die Anzahl der Plätze auf acht erweitert werden. Zu der Zielgruppe gehören Jugendliche im Alter von 12-17 Jahren aus dem Rems-Murr-Kreis, in Ausnahmefällen auch aus anderen Landkreisen. Zudem besteht seit März 2019 die Möglichkeit, auch Kinder im Alter von 10-11 Jahren aufzunehmen. Dies wird allerdings nur auf Anfrage gemacht. Ansonsten wird im Rahmen der Jugendhilfe jeder von KI©K aufgenommen, keiner wird abgelehnt. Durchschnittlich wird dieses Angebot jährlich von etwa 100-120 Jugendlichen in Anspruch genommen.

Die Gründe für eine erwünschte Aufnahme im Schutzhaus können ganz unterschiedlich aussehen. „Oftmals kommen die Jugendlichen aus einem gewaltbereiten Elternhaus, haben psychisch erkrankte Eltern oder erleben Verwahrlosung.“, so Jasmin Vennemann. Es handelt sich um junge Menschen, die in Not sind und körperlicher, seelischer und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Sie leiden unter Vernachlässigung, Missbrauch oder unter überforderten Familiensystemen. Die Jugendlichen möchten diese schwierige Situation verlassen, wissen jedoch nicht wohin. Sie befinden sich in einer Krise, sind möglicherweise von ihren Familien oder anderen Einrichtungen weggelaufen. Um eine solche Gefahren- oder Krisensituation temporär abzuwenden, wird ein Schutzraum benötigt.     

Als Inobhutnahmestelle des Rems-Murr-Kreises nimmt KI©K genau diese Jugendlichen anonym auf. „Von KI©K ist weder ein Standort auf Google Maps hinterlegt, noch wird mit einer angezeigten Telefonnummer telefoniert und am Klingelschild steht ebenfalls kein Name. In manchen Fällen wissen sogar nicht einmal die Eltern der Jugendlichen, wo diese sich genau befinden.“ erzählt Jasmin Vennemann.

Eine Aufnahme läuft in der Regel wie folgt ab: Das Kreisjugendamt ruft bei dem KI©K-Team an und vermittelt den Jugendlichen, der um Inobhutnahme gebeten bzw. einer solchen eingewilligt hat. Dann findet ein Aufnahmegespräch im Gebäude von KI©K gemeinsam mit dem Jugendlichen, einem KI©K-Mitarbeiter und einem Mitarbeiter des Jugendamtes statt. Mit diesen oft wenigen Vorinformationen über den Jugendlichen wird dieser schließlich aufgenommen. Findet die Aufnahme außerhalb der Öffnungszeiten des Jugendamtes statt, so übernimmt die Polizei die Übermittlung.

Ist der Jugendliche im Schutzhaus aufgenommen, geht es vorrangig darum, diesen in seiner Ausnahmesituation zu unterstützen und ihm bewusst zu machen, in welcher Situation er sich gerade befindet. „Wir versuchen den Alltag so normal wie möglich zu gestalten. Die Jugendlichen sollen diesen möglichst selbstständig fortführen und bewältigen können.“  erläutert Jasmin Vennemann stellvertretend für ihr Team. So sollen die Jugendlichen beispielsweise weiterhin ihre bisherige Schule besuchen. Ist ein Alltag nicht vorhanden, so wird versucht, eine Alltagsstruktur herzustellen. Für den Jugendlichen wird beispielsweise ein Schulplatz auf Zeit organisiert.

Da die Zeit im KI©K für die Jugendlichen gleichzeitig eine Klärungsphase über mögliche Zukunftsperspektiven ist, stehen während des Aufenthalts viele Gespräche an. Unter anderem findet ein wöchentliches Gespräch mit dem Sozialdienst des zuständigen Jugendamtes und den Eltern der Jugendlichen statt. Dieses Gespräch bereiten die Mitarbeiter von KI©K gemeinsam mit dem jeweiligen Jugendlichen vor. Auf Wunsch ist der Mitarbeiter bei dem Gespräch selbst als Unterstützung mit dabei.

Allerdings läuft nie alles gleich ab, es handelt sich stets um individuelle Fälle. „Jeder Tag, jede Situation, jeder Jugendliche, jede Aufnahme ist anders.“, so Jasmin Vennemann. „Nichts ist absehbar, von jetzt auf gleich kann alles anders sein. Die Jugendlichen kommen und gehen. Manche melden sich im Anschluss noch einmal und erzählen, was aus ihnen geworden ist. Der Großteil der Jugendlichen geht jedoch weiter und man hat keine Ahnung, was mit ihnen passiert.“

Die Arbeit der KI©K-Mitarbeiter sieht also jeden Tag anders aus. Auf jeden Jugendlichen muss individuell eingegangen werden. Trotzdem gibt es einige Grundregeln, die für alle gelten und die eingehalten werden müssen, damit eine erfolgreiche Inobhutnahme stattfinden kann: An erster Stelle steht stets das Ziel, dass die Jugendlichen im Anschluss an die Inobhutnahme wieder nach Hause oder in eine geeignete Hilfe zur Erziehung (z.B. Wohngruppe) können. Für die Jugendlichen soll das Schutzhaus daher zwar sicher, aber nicht heimelig sein. „Wir wollen kein Zuhause bieten. Es soll außerhalb von Ki©k weitergehen.“ Es findet somit keine Bezugsbetreuung zwischen Mitarbeiter und Jugendlichem statt. Stattdessen gibt es gewisse Grundhaltungen, die eingehalten werden, wie beispielsweise Akzeptanz und Respekt. Die Jugendlichen werden in ihrer Ausnahmesituation angenommen sowie ernst genommen.

Für die Jugendlichen selbst gilt, sie dürfen sich mit ihren Freunden treffen, allerdings nur außerhalb des Schutzhauses. In das Haus selbst dürfen keine Besucher mitgebracht werden und andersherum dürfen die Jugendlichen nicht außerhalb des Schutzhauses schlafen. Damit die Jugendlichen sich aber frei bewegen können, bleibt die Haustüre durchgehend unverschlossen. Des Weiteren werden für die Jugendlichen keine drei Mahlzeiten bereitgestellt, sondern die Küche ist für die Jugendlichen im Normalfall offen und sie können sich selbst versorgen. Für jeden Abend gibt es jedoch einen Kochdienst unter den Jugendlichen.

Um diese herausfordernde und individuelle Arbeit bewältigen zu können, sollte man, neben Berufserfahrung in der Jugendhilfe, Offenheit für jegliche Situationen sowie absolute Flexibilität mitbringen. Das jetzige siebenköpfige Team baut zudem auf langjährige Zusammenarbeit und erhält regelmäßige Supervision. Die Kolleginnen und Kollegen verstehen sich blind und sie wissen genau, wann sie wie eingreifen müssen.

Je nach Belegung im Haus kann es ganz unterschiedlich zugehen. Es kann sein, alle verstehen sich super und es wird gemeinsam Billard gespielt oder im Garten gegrillt. Bei einer solchen Belegung reicht ein Einzeldienst unter den Mitarbeitern aus. Werden die Plätze im KI©K jedoch von besonders herausfordernden Jugendlichen, sogenannten „Systemsprengern“, belegt, werden Doppeldienste eingesetzt. Manchmal kann es nämlich durchaus zu körperlichen Auseinandersetzungen vor Ort kommen. Dann ist es wichtig, dass die Mitarbeiter nicht alleine im Haus sind, sondern sich gegenseitig unterstützen können.

Auf die Frage, wie man bei einem solchen Job nach Feierabend abschalten kann, antwortet Jasmin Vennemann, dass es ein Lernprozess sei. Ein ganz wichtiger Aspekt sei hierbei das Team. „Wir Kollegen können uns voll und ganz aufeinander verlassen“, erzählt Jasmin Vennemann. Wenn sie nach Hause geht, weiß sie, die Jugendlichen sind in guten Händen. Ruft dann doch mal ein Kollege während ihrer Freizeit an, so weiß sie ganz genau, dass es sich um einen wirklichen Notfall handelt. Ansonsten gilt: Wer frei hat, hat auch frei und wird nicht angerufen. Dies gilt besonders, wenn ein Mitarbeiter im Urlaub ist.

Für Jasmin Vennemann ist ihre Tätigkeit im KI©K etwas ganz Besonderes: „Es ist super cool, die Jugendlichen aufzufangen und auf den Weg zu bringen. Hier wird mir nicht langweilig. Es gibt immer wieder eine neue Herausforderung. Außerdem lernt man sich selbst noch einmal ganz neu kennen.“

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