Ziemlich einsam stehen die Schreinermeister und der stellvertretende Ausbildungsleiter des Berufsbildungswerks Winnenden in ihrer großen Holz-Werkstatt. Seit 17. März ist es hier sehr still geworden, die Azubis sind vor fünf Wochen wegen der Coronakrise nach Hause geschickt worden. Trotzdem musste die Ausbildung in der Paulinenpflege Winnenden unter ganz neuen Voraussetzungen weitergehen: „Wir sind dadurch natürlich erstmal ins kalte Wasser geworfen worden. Uns war klar: Die Ausbildung muss weitergehen auch ohne Werkstatt und Werkbank“, erzählt Arbeitserzieher und Schreinermeister Jochen Zondler vom vermeintlichen Ausbildungs-Lockdown.
Innerhalb von ein paar Stunden haben sich Ausbildungsleitung und Ausbildungsmeister sämtlicher Berufsfelder sowie die Berufsschule im Berufsbildungswerk Winnenden auf eine digitale Lernplattform geeinigt: Seitdem wird über Google Classroom ausgebildet. Der erste Schritt war die Registrierung aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer: „Wir waren zunächst damit beschäftigt, Kontaktadressen zu sammeln, Accounts anzulegen, Einlogghilfen zu geben. Die Tücken steckten oft im Detail – so war manchmal eine eMail-Adresse falsch, für manchen Azubi zu Hause kein WLAN vorhanden oder der Laptop wurde von einem anderen Familienmitglied in Beschlag genommen“, so Jochen Zondler über den etwas steinigen Einstieg. Und natürlich musste auch der Datenschutz geklärt werden.
Doch die vier Schreiner-Ausbilder ließen sich trotz der ersten Hürden nicht beirren, Zondlers Kollege Dominik Rost hat sogar einen kleinen Einführungsvideoclip für die Jugendlichen zu Hause gebastelt: „Damit wird erklärt, wie ich mich bei Google Classroom anmelde und wo ich was finde“, erzählt der Ausbilder.
Zu finden gibt es in der virtuellen Ausbildungswerkstatt viel: „Wir stellen immer pro Ausbildungswoche verschiedene Inhalte auf die Plattform. Dazu gehören Arbeitsblätter mit Texten, Fragen und YouTube-Info-Filme. Wir haben eine richtige Film-Bibliothek angelegt. Es gibt sehr viele Clips zu unseren Ausbildungs-Themen. Leider ist nicht jeder geeignet. Manchmal sind sie fachlich falsch, manchmal werden die Arbeitssicherheitsmaßnahmen nicht erfüllt. Und so fallen von 100 Clips 70 schon mal weg“, erzählt Jochen Zondler von seinen Erfahrungen. Die passenden Clips schaffen es dann tatsächlich in die virtuelle Werkstatt. Ende der Woche ist dann Abgabetermin, dann werden die Arbeitsblätter korrigiert und bewertet. Aufgabenstellungen sind u.a. „Schreibe alle Beschläge auf, die bei der Produktion der Benz-Schränke benötigt werden“. Diese Schränke werden im Normalbetrieb in der Werkstatt hergestellt.
Dominik Rost hat zudem auch ein Quiz mit Ausbildungsfragen auf der Plattform installiert. So kann das Wissen auch auf diese Art und Weise gefestigt werden. Der hörgeschädigte Arbeitserzieher ist besonders nah an den Jugendlichen dran, weil er seine Ausbildung ebenfalls im BBW Winnenden gemacht hat.
Natürlich ist nach wie vor auch der persönliche Kontakt sehr wichtig. So treffen sich die Meister und die 31 Schreiner-Azubis regelmäßig zu Videokonferenzen im Classroom. Hier geht’s nicht nur um fachliche Ausbildungsthemen, sondern auch um die Befindlichkeit der Jugendlichen, die ja von einem Tag auf den anderen aus ihrem gewohnten Ausbildungsalltag herausgerissen wurden. „Viele unserer Azubis erzählen, dass ihnen das Berufsbildungswerk fehlt. Manchmal müssen wir die Webcam einmal quer durch die Werkstatt schwenken, schon dieser Rundblick tut ihnen gut.“, erzählt Jochen Zondler.
Das hört der stellvertretende Ausbildungsleiter Selmar Ehmann auch aus anderen BBW-Werkstätten: „Wir sind wichtige Ansprechpartner und Bezugspersonen für unsere Jugendlichen. Sie möchten alle so schnell wie möglich wieder zu uns zurückkehren.“ Und der freut sich, dass die neue virtuelle Ausbildungsform inzwischen über alle BBW-Werkstätten und Berufsfelder ausgerollt werden konnte: „Die Motivation bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist super. Die Meisterinnen und Meister zeigen gerade noch mehr wie echtes Teamwork geht und unterstützen sich bei der Einführung der neuen Plattform. So stellt Herr Rost seinen Einführungsclip natürlich allen seinen Kollegen und unseren rund 300 BBW-Azubis zur Verfügung“.
Auch Jochen Zondler ist begeistert: „Wir haben die Herausforderungen gemeinsam gemeistert und sind dabei gewachsen. Natürlich ersetzt unsere virtuelle Ausbildung die Werkbank auf Dauer nicht, aber als Übergang passt das wunderbar. Und unsere Azubis und auch wir Meister haben in unserer digitalen Kompetenz stark zugelegt“. Dem stimmt auch Selmar Ehmann zu: „Diese neue Lern-und Ausbildungsform wäre sowieso gekommen. Jetzt halt unverhofft schnell und ohne richtige Vorbereitungszeit. Davon werden wir aber auch nach der Coronakrise noch profitieren“.
Ab dem 4. Mai darf zumindest ein Teil der Azubis wieder in ihre Werkstätten zurückkehren. Dann geht’s in der sogenannten „neuen Normalität“ weiter.