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Autisten sind genauso verschieden wie die Neurotypischen

|   PP

Grafikdesigner Anselm Gutknecht wusste über 50 Jahre nicht, dass er Autist ist und coacht jetzt Azubis in unserem Berufsbildungswerk.

„Schaut, was für Euch passt. Die Arbeitswelt ist neurotypisch. Verbraucht in Eurem Job nicht zu viel Energie“, sagt Grafikdesigner Anselm Gutknecht bei der Fortbildung „Autismus und Beruf“ im Berufsbildungswerk Winnenden. "Neurotypisch" wird oft von Autisten als Gegenbegriff zu "autistisch" verwendet.

Vor Anselm Gutknecht sitzen die Azubis aus dem Ausbildungsgang E-Commerce der Paulinenpflege. Die meisten sind nicht neurotypisch, sondern Autisten wie Anselm Gutknecht selbst auch.

Er selbst wusste davon über 50 Jahre nichts: „Ich bekam meine Autismus-Diagnose erst 2017. Eigentlich war das eine große Erleichterung, weil ich mir vieles endlich erklären konnte. Vor allem auch bezüglich meiner Biographie.“ Und die ist bunt: Anselm Gutknecht hat drei Werbeagenturen gegründet und war dazwischen dann wieder als Freelancer, also als freier Mitarbeiter, tätig. „Im Nachhinein ist mir klar, warum ich diesen regelmäßigen Wechsel zwischen Einzelkämpfer und Chef eines Mitarbeiter-Teams hatte. Für mich war die Arbeit in meinen Werbeagenturen super anstrengend“, sagt Anselm Gutknecht.

Inzwischen ist Anselm Gutknecht auch ehrenamtlich für die Paulinenpflege tätig. Im Berufsbildungswerk ist er Bewerbungscoach und Ausbildungsbegleiter in der Drucktechnik. Zudem ist er auch Referent in der Autismus-Seminarreihe der Paulinenpflege. Den ersten Kontakt zur Paulinenpflege hatte Anselm Gutknecht, weil seine Tochter im Berufsbildungswerk die Ausbildung zur Medientechnologin gemacht hatte: „Als die Ausbildungsleitung uns Eltern zukam und um Unterstützung nachfragte habe, ich mich gemeldet und hier ein Ehrenamt begonnen.“

So wurde er nun auch von den E-Commerce-Ausbilderinnen Laura Asmus und Melanie Grill eingeladen, um über seine Erfahrungen mit Autismus in der Arbeitswelt zu berichten. Dabei geht es nicht nur um Tipps, wie sie sich in der neurotypischen Arbeitswelt besser zurechtfinden. Der Grafikdesigner macht den Azubis auch Mut: „Autisten haben durchaus auch Vorteile für den Arbeitgeber, denn wir brauchen Struktur, davon profitieren andere – von der Büro-Einrichtung bis zur Auftragsbearbeitung. Autisten sind zudem in der Regel sehr loyal, zuverlässig und gründlich. Außerdem kann die andere Sichtweise z.B. Brainstormings sehr bereichern.“

Daher sollen sich die Azubis später nicht nur als Bittsteller sehen, sondern viel mehr mit einem gesunden Selbstbewusstsein auftreten: „Stellt Ansprüche und sagt, was Ihr als Rahmenbedingungen in eurem Betrieb braucht“. So sind für Autisten überschaubare Arbeitsprozesse genauso wichtig wie ein reizarmer Arbeitsplatz. „Absolute Stressfaktoren waren für mich Geschäftsessen mit Kunden, Geschäftsreisen und Meetings ohne Pausen. Wenn es irgendwie geht, lasst Euch von solchen Dingen befreien“, rät Anselm Gutknecht. „Und sucht Euch unter Euren Kollegen einen Dolmetscher, der manche Dinge und Vorgänge von autistisch auf neurotypisch übersetzt. Für mich macht das meine Frau. Oft habe ich nicht verstanden, warum ein Kollege plötzlich beleidigt war. Dann hat mir meine Frau erklärt, warum ich jemanden mit einer Aussage vor den Kopf gestoßen habe.“

Mit seiner Fortbildung will Anselm Gutknecht nicht nur Autisten eine Handreichung für eine erfolgreiche Karriere geben, er will auch den sogenannten „Neurotypischen“ Denkanstöße mitgeben. „Eines der größten Vorurteile gegenüber Autisten ist, dass alle gleich sind. Dabei sind Autisten genauso verschieden wie auch die Neurotypischen.“

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