„Wie ich Gebärdensprache gelernt habe, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur: Wenn zwei gehörlose Menschen aufeinandertreffen, dann kommunizieren sie sofort in Gebärdensprache. So war das wohl bei mir auch“, sagt die von Geburt an gehörlose Annette Bach. Anders als andere Kinder hat sie ihre Muttersprache nicht von ihren Eltern gelernt, denn Mutter und Vater von Annette Bach waren hörend und konnten die Gebärdensprache nicht. „Wir sind fünf Geschwister, drei davon waren von Geburt an gehörlos“, erinnert sich die gehörlose Mitarbeiterin der Paulinenpflege. Daher hatte sie zu ihren zwei ebenfalls tauben Schwestern eine ganz andere, viel engere Bindung als zu ihren Eltern.
Alle Drei gingen in einen Kindergarten für gehörlose Kinder in Wilhelmsdorf. Doch dort war die Gebärdensprache offiziell verboten: „Wir sollten das Lippenlesen lernen. So war es dann auch später in der Gehörlosenschule. Für uns war das Verbot von Gebärdensprache zunächst fast normal. Wir haben uns eher für unsere Sprache, die von Hörenden ‚Affensprache“ genannt wurde, geschämt. Mir ist erst später klargeworden, dass das nicht in Ordnung war.“ Der erste Berührungspunkt mit der Paulinenpflege war für Annette Bach die Berufsfachschule, hier macht sie in den 90ern die Fachhochschulreife und anschließend im Berufsbildungswerk Winnenden eine Ausbildung zur Reprografin: „Für mich war Winnenden fast wie ein Paradies. Hier haben viele gebärdet und die Gebärdensprache war nicht mehr so verpönt.“
Nach einer Weiterqualifizierung arbeitet sie dann als Mediengestalterin, nebenbei gibt sie aber schon Gebärdensprachkurse, auch in der Paulinenpflege. Ihre erste Schülerin ist Lehrerin Eva Paulus, die heute Abteilungsleiterin des Berufskollegs Gebärdensprache in der Paulinenpflege ist. Nach der Elternzeit wird die Mutter von zwei hörenden Kindern 2009 hauptberuflich Gebärdensprachdozentin. Zehn Jahre später fragt die damalige Gebärdensprachdozentin Gabi Braig in der Paulinenpflege Annette Bach an, ob sie nicht die Nachfolge antreten will. Und: Sie will! Seitdem ist Annette Bach in dem diakonischen Unternehmen fest angestellt.
Zum einen macht sie Gebärdensprachkurse für die Paulinenpflege-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, zum anderen unterrichtet sie Gebärdensprache für die Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs Gebärdensprache und des Beruflichen Gymnasiums der Paulinenpflege. Besonders Spaß machen ihr die Gebärdensprach-Kurse für Fortgeschrittene: „Da kann man viel schneller mit mehr Inhalt gebärden. Es kommen dann richtig gute Diskussionen zustande.“ Auch sonst arbeitet sie gerne in der Paulinenpflege: „Es ist schön, dass es hier so viele gehörlose Kollegen gibt. Auch die Arbeitsatmosphäre ist toll. Ich habe hier viele Freiheiten und bin meine eigene Chefin“. Ihr neustes Projekt ist die Überarbeitung der Gebärdensprach-Arbeitsbücher für die Kurse in der Paulinenpflege.
Dass der 23. September der „Tag der Gebärdensprache“ ist, ist für die Gebärdensprachdozentin nicht wichtig: „Für mich ist jeder Tag ein Tag der Gebärdensprache“, lacht sie verschmitzt. Ihre Lieblings-Gebärden sind sogenannte „idiomatische Gebärden“. Das sind Gebärden, die verschiedene Bedeutungen haben, z.B. kann eine bestimmte Gebärde „komisch“, „außergewöhnlich“, „überrascht“ oder „ach so“. heißen.
Auch wenn die hörende Welt eine ganz eigene Kultur hat, kommt sie sehr gut mit hörenden Menschen zurecht. Nur manchmal wundert sie sich ein bisschen. Wenn z.B. jemand sagt: „Du kannst aber gut sprechen.“ Das komme dann sicher von dem ewig falschen Wort „taubstumm“. „Gehörlose können natürlich sprechen und sind nicht stumm“, betont Annette Bach. Ein Fakt, der nicht nur am Tag der Gebärdensprache wichtig ist.