„Dass es Gebärdensprache gibt, weiß ich, aber Gehörlosenkultur? Davon habe ich noch nichts gehört“, so und so ähnlich antworten einige Passantinnen und Passanten bei einer Straßenumfrage in Winnenden. Gedreht wurde der Videoclip für den Info- und Kulturabend „Gehörlosigkeit im Wandel der Zeit“ der Paulinenpflege. Höchste Zeit also, dass bei dieser Veranstaltung im Oktober die ganze Vielfalt der Gehörlosenkultur vorgestellt wurde. Egal ob es um Gebärdenmusik oder Gehörlosen-Witze oder Theater mit gehörlosen Schülerinnen und Schülern ging. Teilweise war das nur auf der Leinwand zu sehen, vieles aber auch live vor Ort auf der Bühne der Berufsbildungswerk-Aula in Winnenden.
Moderiert wurde der Abend kompetent und mit viel Humor von den tauben Gebärdensprach-Dozenten Annette Bach und Christian Hermann. Beide arbeiten in der Paulinenpflege und haben diesen Abend zusammen mit einem Team vorbereitet. Das Programm sollte dazu beitragen, dass sich die hörende und gehörlose Welt näherkommen und besser kennenlernen.
Im ersten Teil der Veranstaltung sprach Markus Beetz vom Landesverband Bayern der Gehörlosen e.V. über Gehörlosigkeit im Wandel der Zeit. Motiviert durch Aussagen seines Realschul-Geschichtslehrers „Gehörlosengeschichte? Die gibt es nicht!“ hat er zunächst ein Buch über die bayerische Gehörlosengeschichte geschrieben. In seinem Vortrag in der Paulinenpflege war der Schwerpunkt die Gehörlosenbewegung in Baden-Württemberg.
Dabei wird klar, dass es neben vielen Meilensteinen auch immer wieder einige Rückschläge für die gehörlosen Menschen in Baden-Württemberg bzw. ganz Deutschland gab. So war es ein sehr langer Weg bis die Gebärdensprache endlich 2002 als rechtlich eigenständige Sprache anerkannt wurde. Wichtige gehörlose Menschen waren u.a. der taube Bankbeamte Karl Wacker aus Stuttgart, der in den 1950ern auch der erste Präsident des Deutschen Gehörlosenbundes nach dem Krieg war. Oder auch Getrud Mally, die 1984 in München das erste Kommunikations-Forum (KoFo) gegründet hatte, in denen sich gehörlose Menschen fachlich austauschen konnten – wenig später gab es KoFos u.a. auch in Heilbronn und Ulm.
Nach vielen Fakten ging es im zweiten Teil des Abends sehr bunt zu. Besonders eindrücklich waren drei Pantomime-Szenen, die ebenfalls hörbehinderte Schülerinnen und Schüler eingeübt hatten – und das in einem zweitägigen Workshop mit DEM Pantomimen „JOMI“. In einer kurzen Einführung erklärt der gehörlose Künstler dem Publikum, wie viel diese Kunst ausdrücken kann – ohne Worte. Und das zeigen dann auch die von ihm unterrichteten Schüler sehr eindrücklich bei drei Bankgeschichten, die auf oder an einer Bierbank spielen.
Bei einem Theaterstück wurde das Märchen Aschenputtel in eine Gehörlosenversion umgeschrieben, d.h. Aschenputtel verliert nicht ihren Schuh, sondern ihr Hörgerät. Ein gehörloser Azubi aus dem Berufsbildungswerk stellte die Geschichte der Paulinenpflege in „VV“ (Visual Vernacular) dar – bei dieser ganz besonderen Kunstform wird mit Zeitlupe, Rückwärtsgebärden oder ständigen Perspektivwechsel gearbeitet. Die Einflüsse kommen von Computerspielen oder 3D-Animationen. Für Gehörlose ist das wie Musik.
Damit sich die hörenden und gehörlosen Besucherinnen und Besucher des Kulturabends näherkommen, gab es zwischendurch einige Interaktions-Spiele. So sollten z.B. Begriffe durch Lippenlesen, Mimik oder Pantomime erraten werden. Annette Bach und Christian Hermann holen dazu immer wieder Menschen aus dem Publikum auf die Bühne.
Am Ende des Abends war klar, dass die Gehörlosenkultur mindestens so bunt ist wie die der Hörenden. Und: Die Begegnungen der beiden Welten waren ein guter Anfang, um sich zukünftig noch besser zu verstehen und sich hoffentlich öfter auszutauschen.