Auf den ersten Blick ist der Lebenslauf von Thilo Oesterle wenig spektakulär. Der 29jährige aus Backnang hat am Max-Born-Gymnasium sein Abitur gemacht, danach Zivildienst in einem Krankenhaus und begann hinterher das Studium „Medizinische Informatik“ an der Hochschule Heilbronn. „Dass bei mir etwas anders ist als bei anderen, habe ich bis dahin selten bemerkt. Aufgefallen ist mir nur, dass meine Mitschüler zum Beispiel über Bemerkungen von mir gelacht haben und ich hab überhaupt nicht verstanden, warum“, berichtet Thilo Oesterle. Auch beim Zivildienst im Krankenhaus am Schliersee war nichts ungewöhnlich: „Da hatte ich immer genaue Anweisungen, was zu tun ist. Da gab es keine Probleme“, erinnert sich der Student.
Die erste Krise kam erst mit dem Studium ab 2009 in Heilbronn: „Aber auch da dachte ich nicht so viel darüber nach. Dass ich das Studium nicht gepackt habe, schob ich eher auf die damals anstehenden Hüft-OPs und den damit verbundenen gesundheitlichen Einschränkungen und Fehlzeiten“. Als Thilo Oesterle wieder auf den Beinen war, kam der Neustart 2012 an der Technischen Universität Freiberg.
Auch beim Studium „Angewandte Naturwissenschaften“ gab es wieder Probleme für Thilo Oesterle: „Ich habe wichtige Prüfungen nicht geschafft. Es lag aber nicht an den Inhalten, sondern daran, dass ich die Vorlesungsräume manchmal nicht gefunden habe und dann wieder nach Hause gegangen bin. Ich hab es einfach nicht hinbekommen, jemanden anzusprechen. War ich in der Vorlesung, dann war das Stress pur, weil ich mich aufgrund des Vorlesungssaals nicht konzentrieren konnte. Und so wurde ich exmatrikuliert“, erzählt Thilo Oesterle von einem weiteren Tiefschlag. Das war dann nicht nur für ihn belastend, sondern auch für seine Eltern. Ein Psychiater wollte Thilo Oesterle in die Psychiatrie einweisen, da er inzwischen auch leicht depressiv war.
Nur durch Zufall hörte seine Mutter in dieser Situation in der Radiosendung SWR1-Leute den Autisten und Geophysiker Dr. Peter Schmidt. Seine Erzählungen brachten bei Familie Oesterle einen Stein ins Rollen, denn er hatte ähnliche Probleme wie Thilo. Erst im Erwachsenenalter wurde beim Radiogast „Autismus mit Asperger Syndrom“ diagnostiziert. Dasselbe geschah nun auch bei Thilo Oesterle. Er wurde an der Uniklinik Tübingen getestet: „Ich hatte dort zwei Termine und musste jede Menge Fragebögen ausfüllen. Und dann kam die eMail, in der die Diagnose stand“, erinnert sich Thilo Oesterle sehr genau. „Es ändert sich dadurch nichts an dem Symptomen, die sind nicht heilbar. Aber es erklärt vieles“, fasst er seine Gedanken von damals zusammen.
Nun erkundigte sich Thilo Oesterle u.a. bei der Firma „auticon“, die ausschließlich Menschen mit Autismus als IT-Spezialisten beschäftigt. Er entschied sich dann aber für einen weiteren Studienanlauf, dieses Mal an der Universität Vaihingen. Mit dem Wissen im Hintergrund, was ihn beim Studieren behindert bzw. die letzten Studien unmöglich gemacht hat, war dies ein richtiger Neustart. Zudem hatte Thilo Oesterle Glück, dass er in Vaihingen an eine Studienkoordinatorin gelangt ist, die sich schon im Vorfeld viel Zeit für ihn nahm. „Sie organisierte meine Termine und gab mir ältere Studenten an die Hand, die mir die Räume in der Uni zeigten. So war ich immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, erzählt Thilo Oesterle erleichtert.
Seit Anfang des Jahres übernimmt die Studienbegleitung Carola Giuilia Schäfer. Sie arbeitet als Job-Coach und Studienassistentin für Menschen mit Autismus in der Paulinenpflege Winnenden. Auch sie war für den Studenten aus Backnang ein Glücksfall, da er sie schon von den ersten Kontakten bei der IT-Firma „auticon“ kannte. Die Studienassistentin trifft sich nun einmal in der Woche mit Thilo Oesterle: „Ich organisiere für Herrn Oesterle die Rahmenbedingungen, mache mit ihm einen Terminplan, auf dem u.a. alle Prüfungsdaten stehen. Zudem beantrage ich für ihn den Nachteilsausgleich, der ihm als Autisten zusteht“. Dazu gehören Dinge wie ein eigener Raum bei Prüfungen, eine Prüfungsverlängerung oder ganz einfach ein fester Sitzplatz im Vorlesungssaal. „Das gibt mir Sicherheit und eine Struktur. Somit kann ich mich zukünftig voll und ganz auf die Inhalte des Studiums konzentrieren“, freut sich Thilo Oesterle. Die sind bei „Technischer Biologie“ sicher sehr komplex, doch damit hat Thilo Oesterle im Gegensatz zu vielen anderen Menschen überhaupt keine Probleme.
Weitere Informationen zur Studienbegleitung für Menschen mit Autismus der Paulinenpflege Winnenden erhalten Sie bei unserem
- Fachdienst Autismus
Dany Kral, Tel. 07195 695-3335.
eMail: dany.kral@paulinenpflege.de
Dr. Peter Schmidt als Podcast bei SWR 1 Baden-Württemberg
Auf den ersten Blick führt Peter Schmidt ein ganz normales Leben. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist Doktor der Geophysik. Hochbegabt in den Naturwissenschaften hapert es allerdings im Zwischenmenschlichen. In den Gesichtern der anderen kann er keine Mimik lesen, z.B. ob seine Kinder gerade fröhlich oder traurig sind. Und auf der Straße würde er vermutlich seine Frau nicht erkennen. Denn Peter Schmidt ist Autist mit einem ausgeprägten Asperger-Syndrom. Erst vor einigen Jahren hat er durch einen Zufall davon erfahren. Wie es ihm trotzdem gelingt, zu lieben und glücklich zu leben, erzählt er in "SWR1 Leute". Diese Sendung ist auf der SWR1-Homepage abrufbar - einfach hier klicken!