„Der Mensch mit Behinderung ist mein Kunde“, sagt Werkzeugmachermeister Gerold Hedemann. Er hat ein eigenes kleines Reich im Keller unter einer der Hallen der „Backnanger Werkstätten“. Für ihn ist das hier gleichzeitig Büro, Werkstatt und ein fast undurchdringliches Lager. Für jeden Tüftler ist dies ein Paradies, denn hier gibt es fast nichts, was es im Bereich Werkzeuge, Maschinen-Ersatzteile oder Bedien- und Normelemente nicht gibt. Für Gerold Hedemann sind die vielen Groß- und Kleinteile keine Spielerei, sondern die Voraussetzung für seine Arbeit.
Er ist nämlich der kreative Kopf der Werkstätten für behinderte Menschen in Backnang und sowas wie der Daniel Düsentrieb der Paulinenpflege. In seiner Funktion als Vorrichtungsbauer entwirft und baut Gerold Hedemann Geräte und Werkzeuge, die die Beschäftigten trotz ihrer Behinderung befähigen, Industrieaufträge optimal auszuführen. „Die Vorrichtungen müssen so einfach und so genial wie möglich auf unsere Beschäftigten zugeschnitten sein“, beschreibt er den Idealzustand. Für ihn bedeutet das nicht nur, dass die Beschäftigten mit Hilfe seiner Vorrichtungen die Aufträge perfekt bearbeiten können, auch die Arbeitssicherheit und Ergonomie muss stimmen. Und: „Bei meinen Vorrichtungen sind ebenso Ästhetik und Haptik wichtig. Unsere Menschen mit Behinderung sollen ihre Arbeit gerne machen. Dann wachsen sie auch über sich hinaus.“
Am Anfang jeder ganz speziellen Vorrichtung steht ein Auftrag. Der kommt von Industriefirmen. Zum Beispiel eine Gasdruckfeder für einen Sodasprudler zusammenzubauen. Die Firma liefert dann ein Musterexemplar und die Einzelteile sowie Baupläne und Zeichnungen. Und schon beginnt es in Gerold Hedemann zu arbeiten: „Manchmal habe ich sofort eine Idee und die Vorrichtung innerhalb von zwei Stunden fertig. Manchmal muss ich es auch einfach eine Weile weglegen und der Geistesblitz kommt plötzlich morgens beim Aufstehen. Oder es hilft den ganzen Arbeitsprozess auf den Kopf zu stellen. Bisher konnte ich jeden Auftrag so umbauen, dass er von unseren Beschäftigten ausgeführt werden konnte.“
In der Regel werden daraus dann mehrere kleine Arbeitsschritte. Jeder Beschäftigte macht dann einen Arbeitsschritt. Bei der Gasdruckfeder sind das: Führungshülse einpressen, Dichtung einpressen, Scheibe einpressen, O-Ring aufziehen. An jedem Arbeitsplatz gibt es dann ein automatisches Kontrollsystem: Wird z.B. die Presse nicht vollständig nach unten gedrückt, blockiert diese und es kann nicht weitergemacht werden. Ein anderes Beispiel ist die Drehkupplung für den Schlauch von Hochdruckreinigern. Hier müssen dann genau 14 Kugeln ins Kugellager rein – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Man merkt Gerold Hedemann an, dass seine Tätigkeit nicht nur sein Beruf, sondern seine Berufung ist. Vielleicht liegt seine Begeisterung auch daran, dass er zwei total verschiedene Qualifikationen in seinem Job perfekt zusammenbringen kann. Hedemann war vor seiner Arbeit in der Paulinenpflege in der freien Wirtschaft tätig. Angefangen hat er bei einer großen Elektronikfirma in Oldenburg. Als diese rationalisieren musste, wollte Gerold Hedemann seinen Horizont erweitern und setzte auf den Werkzeugmachermeister den Heilerziehungspfleger drauf. Dieser Mix ist ideal für seinen Job. Vorher war Gerold Hedemann auch noch Ausbilder für Metallberufe im Berufsbildungswerk der Paulinenpflege und hat im Team gearbeitet.
Der Vorrichtungsbau in den Backnanger Werkstätten ist dagegen ein „Ein-Mann-Betrieb“, trotzdem ist er hier nicht einsam: „Ich bin froh, dass ich außerhalb meiner Abteilung Kolleginnen und Kollegen habe, die mich unterstützen. Dazu gehören u.a. unsere Vertriebler, die Arbeitsgruppenleiter und ganz wichtig, unseren Beschäftigten, die auch wertvolle Tipps geben können“.
Und so wird oft die eine oder andere Vorrichtung im Echtbetrieb weiter optimiert. „Am meisten freut es mich, wenn ich durch die Werkstätten laufe und ich sehe motivierte Menschen mit Behinderung, die an einer neuen Vorrichtung arbeiten. Dann kommt oft auch ein Daumen hoch!“, berichtet Gerold Hedemann über die Rückmeldungen.