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It’s tea time – die Queen zu Gast im Klassenzimmer

Matthias Knödler | |   Berufsschule

Mehrfachbehinderte Jugendliche in der Paulinenpflege Winnenden lernen Englisch.

Björn, Yaprak, Domenico, Kamer, Alexander, Kevin und Daniela begrüßen sich seit ein paar Wochen zu Schulbeginn nicht mehr mit „Hallo“ oder „Guten Morgen“, sondern mit „good morning – how are you?“. Die mehrfach behinderten Schülerinnen und Schüler der Berufsschulstufe in der Paulinenpflege Winnenden e.V. sind mächtig stolz, dass sie am Projektunterricht „Englisch“ teilnehmen konnten.

Die Berufsschulstufe ist ein mindestens 3-jähriger Bildungsgang mit einem Unterricht, der grundsätzlich projektorientiert ist. Die Lehrerinnen und Lehrer der Berufsschulstufe müssen die Jugendlichen, die im Lauf ihrer Schulkarriere viele Inhalte schon sehr oft gehört und gelernt haben, immer wieder neu motivieren und somit bei der Gestaltung des Unterrichts sehr kreativ und innovativ sein. Dies ist nicht immer einfach, da die Schüler nicht nur hör- oder sprachbehindert, sondern teilweise auch geistig, körper- oder lernbehindert sind. Ebenso werden Jugendliche mit Autismus in der Berufsschulstufe gefördert. „Allen unseren Schülern gerecht zu werden, ist unsere tägliche Herausforderung. Oft ist es schwierig, den gemeinsamen Nenner im Unterricht zu finden, der alle anspricht und interessiert. Im Fall des Englisch-Projektunterrichts ist das sehr gut gelungen“, erzählt Eva Rustemeier, Abteilungsleiterin der Berufsschulstufe.

Die erste Einheit des etwas anderen Englisch-Unterrichts begann mit dem Zubereiten von „English Breakfast“ – auf dem typisch englischen Speiseplan standen u.a. Sausages (Würstchen), Bacon (Schweinespeck), Mushrooms (Pilze) und Baked Beans (gebackene Bohnen). Hier wurden nicht nur Frühstücks-Vokabeln gelernt, sondern auch die ersten Kommunikationsversuche unternommen. So gab es eine Runde, bei der sich jeder Schüler auf Englisch vorstellen durfte. In den nächsten Wochen stand auch Landeskunde auf dem Programm: Welche Sehenswürdigkeiten hat London? Der „Big Ben“ führte die Schüler dann zum Erlernen der Uhrzeit und der Zahlen bis zwölf auf Englisch. Lehrerin Martina Fuhrich-Trostel, die das Englisch-Projekt initiiert und durchgeführt hat, ist vom Lerneifer ihrer Schüler begeistert: „Es ist unglaublich, wie schnell unsere Jugendlichen die Uhrzeit auf Englisch begriffen haben. Viele können diese nicht einmal in ihrer Muttersprache.“

Ein weiterer Höhepunkt war der Vormittag „We visit the Queen“. Hier wurde nicht nur eine echte englische „Teatime“ mit feinem Teeservice, Scones und gutem Benehmen vorbereitet – an diesem Vormittag saß die Queen höchstpersönlich im Klassenzimmer. Queen Elisabeth II. wurde per Beamer ans Kopfende der Tee-Tafel „gesetzt“. Martina Fuhrich-Trostel ist beeindruckt vom Engagement der Projektteilnehmer: „Unsere Schüler haben erstaunlich lange das am Hof übliche gute Benehmen durchgehalten. Natürlich kamen auch Fragen nach dem Schicksal von Diana auf und ob Harry verheiratet ist, dadurch wurden ganz neue Vokabeln erfragt, die ich eigentlich gar nicht vorgesehen hatte“. Aber nicht nur virtuell war ein echter englischer VIP dabei, von Anfang an gehörte auch FSJ-Praktikantin Julia Munz zum Projekt-Team. Diese war mehrere Jahre in England in der Schule und nicht nur ihre Schul-Uniform überzeugte die Schüler, dass es sich hier um eine Fast-Engländerin handelte. Durch die Praktikantin konnte noch mehr das Gefühl für die andere Kultur, den Slang und den Lebensstil vermittelt werden.

Obwohl die Hörschädigung der Schüler die Aufnahme von Sprache enorm erschwert, war davon beim Projekt-Unterricht wenig zu merken. Auch die oft schwierige Artikulation wurde von vielen Schülern fleißig geübt.

Die hohe Motivation führt Abteilungsleiterin Eva Rustemeier auf die Umsetzung des Projekts zurück: „Der Englisch-Projektunterricht war didaktisch sehr geschickt aufgebaut. Vom Big Ben auf die Uhrzeit oder durch die Königsfamilie auf die eigene Familie zu kommen, hat die Schüler richtig mitgerissen. Damit wurden Landeskunde, Kultur und Allgemeinbildung mit dem Erlernen einer Sprache gekoppelt. Ein weiterer Vorteil ist es auch, dass es für unsere Jugendlichen einen hohen Wert hat, englisch sprechen zu können. Erstaunt waren die Schüler auch, wie viele englische Begriffe sie bereits in ihrer Sprache verwenden, ohne es zu wissen.“
So haben die Schüler schnell erkannt, dass sie auf viele englische Vokabeln treffen und begreifen, was „Big Brother“ bedeutet und dass „Jeans“ und „T-Shirt“ ebenfalls aus dem englischen Sprachraum stammen.

Abteilungsleiterin Eva Rustemeier freut sich aber nicht nur über das Lernergebnis ihrer Schüler: „Das Projekt hat das Selbstvertrauen unserer Jugendlichen gestärkt. Zudem wurde das Interesse geweckt, Bildungsangebote freiwillig und nicht aus Zwang wahrzunehmen oder sogar einzufordern. Das ist eines der Ziele in der Berufsschulstufen-Zeit, die aufs Erwachsensein vorbereiten soll“.

Nach fünf Vormittagen war leider Schluss und eigentlich sollte die fünfte Einheit ein lockerer Ausklang mit Wiederholung der bisher gelernten Vokabeln und dem Brettspiel „Scotland Yard“ werden. Dieser Vorschlag wurde von den Schülern allerdings abgelehnt. „Wir wollen noch mehr Vokabeln lernen!“, lautete die Forderung der Projektteilnehmer. Ein besseres Zeugnis kann man einer Lehrkraft sicher nicht ausstellen und so beugte sich Lehrerin Fuhrich-Trostel gerne dem Wunsch der Jugendlichen.

Matthias Knödler für die Zeitschrift "hörgeschädigte kinder - erwachsene hörgeschädigte".

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