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"Unsere Beschäftigen sind die Premium-Kunden!"

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Die "Backnanger Werkstätten" werden in diesen Tagen 40 Jahre alt. Grund genug für Geschäftsführer Jörg Tuttlies in einem Interview über industrieorientierte Fertigung, den gesellschaftlichen Auftrag und die aktuelle Lage der "Backnanger Werkstätten" zu erzählen.

Die Backnanger Werkstätten sind seit 40 Jahren zwar fester Bestandteil der Stadt. Trotzdem haben viele Menschen sie nicht so auf dem Schirm. Was wird hier eigentlich gemacht?

Das Image der Werkstätten hängt immer noch so ein bisschen am Thema Bürsten binden und Wäscheklammern zusammensetzen. Aber dass wir uns intensiv auf den Weg gemacht haben zum Thema industrielle Fertigung, das wissen viele nicht. Wir sind zumindest teilweise ein Betrieb wie jeder andere auch. Wir unterliegen den gleichen Vorgaben, sei es Arbeitsschutz oder Qualitätsmanagement oder Kundenreklamationen, die bearbeitet werden müssen. Wir haben eine Infrastruktur vergleichbar mit einem mittelständischen Betrieb mit einem Maschinenpark, einem Lastwagen, einem Lkw-Fahrer, Einkauf, Vertrieb.

Wann haben Sie diesen Weg eingeschlagen?

Angefangen hat das Ganze mit einer stark industrieorientierten Metallbearbeitung. Seit fast 20 Jahren gibt es die Bearbeitung von Aluminiumrohren für die Automobilindustrie, wo im Jahr sechs Millionen Rohre gesägt und entgratet werden. Dann haben wir mit der CNC-Fertigung begonnen. In verschiedenen Bearbeitungszentren fertigen und fräsen wir für unsere Industriekunden verschiedenste Teile. Seit einigen Jahren sind die Themen Ultraschallschweißen und Laserbeschriften hinzugekommen.

Also erledigen die Beschäftigten bei Ihnen auch anspruchsvollere Tätigkeiten ?

Früher waren wir ein reiner Dienstleister. Da haben wir tatsächlich nur einfachste Montagearbeiten in großen Stückzahlen gemacht. Heutzutage versuchen wir, uns anders aufzustellen, ein breiteres Beschäftigungsspektrum anzubieten, weil wir einen total unterschiedlichen Personenkreis haben. Wir betreuen Leute mit einer geistigen Behinderung, mit psychischen Erkrankung, Leute aus dem Autismusspektrum oder einer körperlichen Behinderung. Die Tätigkeiten sollten so praxisnah wie möglich sein. Unsere Beschäftigten möchten eigentlich keine Spielwiese und kein Sonderprogramm, sondern so realitätsnah wie möglich beschäftigt werden. Da haben sie gewisse Ansprüche an die Arbeit.

Das heißt, die Tätigkeiten in den Backnanger Werkstätten sind so, wie sie in der Industrie tatsächlich vorkommen?

Ja. Wir versuchen, Arbeitsplätze anzubieten, die vergleichbar sind mit Arbeitsplätzen von anderen Arbeitnehmern im Metallbereich oder in der Montage. Damit die Beschäftigten sagen „Jawohl’, wir arbeiten in einer richtigen Fertigung“. Und unsere Leute identifizieren sich dann total mit der Arbeit und auch mit den Kunden. Sie sind so stolz darauf, etwas machen zu dürfen für die Firma Porsche oder Bosch oder Kärcher. Das ist ihr Leben. Sie kommen jeden Tag gern zur Arbeit und sind bedacht darauf, gute Qualität abzuliefern.

Dann haben sie manchen Arbeitnehmern im richtigen Berufsleben etwas voraus. Wenn überall Fachkräftemangel herrscht und die Betriebe ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können, ist das eine Chance für Ihre Beschäftigten?

Das Thema Ausbildung ist eine andere Geschichte. Bevor jemand in eine Werkstatt kommt, wird untersucht: Gibt es irgendwelche anderen Möglichkeiten? Ist er in der Lage, eine reduzierte Ausbildung zu machen? Wenn die Leute bei uns landen, ist eigentlich klar, dass eine Ausbildung ausscheidet. Was wir aber machen, auch mit Blick auf das Bundesteilhabegesetz, sind betriebsintegrierte Arbeitsplätze.

Was ist das?

Wir bieten Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der Werkstatt an. Das heißt, der Beschäftigte hat einen Werkstatt-Status, er bezieht über uns Sozialbeiträge und sammelt Rentenansprüche. Wenn jemand beispielsweise mit Pferden zu tun haben möchte, das haben wir bei uns nicht, das können wir nicht anbieten. Dann schicken wir ihn auf den Pferdehof, da kann er ein Praktikum machen. Wenn der Pferdehof die Hilfe des Beschäftigten brauchen könnte, dann können wir dort einen betriebsintegrierten Arbeitsplatz einrichten. Ein Mitarbeiter der Werkstatt oder jemand vom Sozialdienst betreut den Beschäftigten als Job-Coach. Wir haben derzeit 20 betriebsintegrierte Arbeitsplätze, Tendenz steigend. Es gibt immer wieder Beschäftigte, die das ausprobieren wollen. Manche von ihnen sagen danach aber auch: Okay, ich habe es jetzt ausprobiert, aber in der Werkstatt gefällt es mir doch besser.

Ist die Betriebsintegrierung die Richtung, in die es gehen wird?

Der Trend ist immer Ambulantisierung. Man möchte nicht, dass die Leute in der Komplex-Einrichtung sind und dann durch ein Gesamtsystem versorgt werden. Ich sehe es so: Jeder Mensch, der etwas ausprobieren möchte oder etwas anderes arbeiten will, dem werden wir das ermöglichen. Ich werde nie jemandem sagen „Nee, du bleibst hier. Das hier ist dein Job“.

Porsche, Bosch, Kärcher haben Sie schon genannt. Wer gehört noch zu den Kunden der Backnanger Werkstätten?

Was man immer wieder ein bisschen gerade rücken muss: Wir haben unsere Premium-Kunden. Das sind unsere Beschäftigten. Wegen ihnen machen wir das Ganze. Die anderen Kunden brauchen wir natürlich auch, wir müssen ja unsere Mitarbeiter bezahlen und auch die Beschäftigten bekommen ein Entgelt. Aber unsere Hauptaufgabe sind die Beschäftigten. Es gibt manchmal Diskussionen innerhalb der Mitarbeiterschaft: Ich habe keine Zeit zum Betreuen, ich muss produzieren. Das ist der falsche Ansatz. Ich produziere, weil ich die Leute am Arbeitsleben teilhaben lassen möchte. Das eigentliche Ziel ist nicht nur, Geld zu verdienen und Aufträge zu bekommen, sondern die Leute sinnvoll zu beschäftigen.

Zu Ihrer Frage: Wir haben ein paar Großkunden. Dazu gehören Porsche, Kärcher, Bosch oder Contitech Kühner. Da hängen wir direkt an der Automobilindustrie dran und haben keine Verhandlungsspielräume. Der Vorteil an den Großaufträgen ist, dass man hohe Stückzahlen hat und über Jahre hinweg vernünftig planen kann, auch was Investitionen betrifft. Wir haben auch kleine Unternehmen aus der Region, Mittelständler. Wenn die Stückzahlen zu klein werden, ist das in der Regel nichts für uns.

Warum nicht?

Wir brauchen auch Fachpersonal. Ich brauche einen Meister, der weiß, wie man eine CNC-Maschine bedient. Den stelle ich dann hin, damit er den Kundenauftrag mit 20 Teilen erledigt. Da muss ich so viel verlangen, dass der Kunde den Auftrag auch anderswo hingeben kann. Und vor allem kann ich so keine Leute beschäftigen. Also wenn der Gruppenleiter beschäftigt ist, ist das nicht Sinn der Sache. Die Gruppenleiter haben ohnehin ausreichend viele Herausforderungen. Sie haben die Betreuung der Leute und sollen parallel auch ein Stück weit eine Produktion am Laufen halten. Das ist eh schon ein ganz gutes Päckchen, das sie zu tragen haben. Deswegen haben wir auch produktionsunterstützendes Personal. Sprich: Wenn unsere Beschäftigten einen schlechten Tag haben, will der Kunde trotzdem termingerecht sein Material haben. Diese Produktionskräfte fangen das dann auf, damit wir lieferfähig sind.

Welche Vorteile haben Industriekunden, wenn sie ihre Aufträge an die Backnanger Werkstätten geben?

Aufgrund der langjährigen Entwicklung haben wir ein breit aufgestelltes, multiprofessionelles Team in der Betreuung der Beschäftigten und in der Fertigung/Produktion. Aufgrund der Vielzahl an Leuten haben wir eine relativ hohe Schlagkraft und sind relativ flexibel. Das heißt, wir können unsere Industriekunden relativ zügig bedienen. Der monetäre Vorteil für Industriekunden dreht sich um die Ausgleichsabgabe. Betriebe müssen eine Ausgleichszahlung entrichten für jeden Schwerbehinderten, den sie nicht einstellen. Die Frage ist dann: Zahlen sie lieber die Ausgleichsabgabe oder stellen sie einen Schwerbehinderten ein oder geben sie uns Aufträge? Wenn sie uns Aufträge geben, können sie einen Großteil wieder geltend machen beim Integrationsamt und haben dadurch einen deutlichen preislichen Nachlass.

Dann müssten Sie sich eigentlich vor Aufträgen nicht retten können?

Es wird nichtsdestotrotz immer schwieriger, auch bei größeren Firmen Aufträge zu bekommen, weil wir absolut im Wettbewerb stehen mit Rumänien, Ungarn, China, Korea. Wenn die Firma ein Zweigwerk oder einen Lieferanten hat aus Fernost oder Nahost, ist die Frage: Wer ist billiger? Deswegen ist es immer schwierig, wenn wir einen Großauftrag hatten, wieder einen Folgeauftrag zu bekommen. Wenn da was wegbricht, das ist extrem schwierig.

Also appellieren Sie an die Moral in den Betrieben?

Auch Betrieben müssen wir klar machen: Wir übernehmen als Werkstätten einen gesellschaftlichen Auftrag. Wir beschäftigen die Menschen, die früher zu Hause saßen und zum Fenster rausgeguckt haben. Wir ermöglichen ihnen Teilhabe. Damit verbunden sind Zufriedenheit und Selbstbestätigung, die das Selbstwertgefühl der Menschen, die hier beschäftigt sind, erhöht. Wir übernehmen Aufgaben, die die Gesellschaft in irgendeiner Form übernehmen sollte. Aber wir haben, wie gesagt, das Konstrukt, dass wir darauf angewiesen sind, dass uns Firmen mit Aufträgen versorgen, damit wir gute Arbeit leisten können.

Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft der Backnanger Werkstätten?

Ich würde mir wünschen, dass unsere Menschen mit Behinderung noch öfter und noch intensiver Möglichkeiten haben, in Betriebe reinzuschnuppern. Sprich, einfach mal Praktika zu machen Und ich würde mir wünschen, dass der ein oder andere sagt: „Ich möchte da raus und da draußen arbeiten“. Wenn es das Umfeld dann so hinbekommt von den Rahmenbedingungen her, dass es funktionieren kann, das wäre eine tolle Sache. Aber es wird immer auch Leute geben, die hier bei uns richtig sind. Manche sagen, sie wollen hier nicht weg, sie wollen nicht raus. Sie fühlen sich hier wohl und sind unter ihresgleichen. Das soziale Umfeld darf man nicht unterschätzen. Werkstätten bieten ja nicht nur Arbeit, sondern auch das soziale Umfeld.

(Interview von Nicola Scharpf aus der Sonderveröffentlichung der "Backnanger Kreiszeitung" vom 15.11.2017 zu "40 Jahre BKW")

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