„Im Gemeinderat wird diskutiert, ob die Lohnsteuer erhöht werden muss,“ berichtet Annika März, die Bürgermeisterin von Pautopia, „und ob das Handyverbot wirklich richtig ist.“ Annika März ist Schülerin im Beruflichen Gymnasium, einem der diversen Bildungsgänge in der Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege Winnenden. Ihre Stellvertreterin Franziska Deiss ist wie sie 19 Jahre alt. Das Bürgermeisteramt, in dem die beiden jungen Frauen tätig sind und in dem sich auch der Gemeinderat versammelt, wurde im Büro des Konrektors eingerichtet.
Die normale Schulleitung ist momentan außer Dienst und hat ihre Befugnisse den gewählten Stadtoberhäuptern übergeben. Einfach ist das nicht, eine Stadt zu leiten, denn nicht alle Bürger sind mit ihren Oberen zufrieden. So gab es schon eine Demonstration, in der unter anderem die Müllwerker lautstark riefen: „Wir wollen mehr Geld!“
Da freuen sich die zwei Stadtoberhäupter natürlich, wenn sie Rückhalt und Tipps von ihrem Amtskollegen Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth aus Winnenden bekommen. Er ist bei einem Besuch in Pautopia begeistert und drückt seine große Bewunderung über das Organisationsgeschick der Jugendlichen und des Kollegiums der Schule beim Jakobsweg aus.
Der Name „Pautopia,“ zusammengesetzt aus Paulinenpflege und Utopia, steht für eine neue Stadt, die allerdings nur drei Tage existieren wird. Trotzdem gibt es in dieser Stadt fast alles wie in einer normalen Gemeinde: Nicht nur eine Bürgermeisterin, sondern auch eine Polizei, ein Standesamt, eine Müllabfuhr und vor allem viele Firmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen anbieten. Die Crepes-Bäckerei hatte am ersten Tag wohl die meisten Kunden. Nachhilfeunterricht, der von Schülern angeboten wurde, war weniger gefragt. Im Spielcasino aber ließen sich diverse Bürger nieder. Im Second-Hand-Laden kann man Kleidungsstücke kaufen und in der Massagepraxis sich entspannen. Das Badesalz, das in einem anderen Laden verkauft wird, ist sogar selbstgemacht, der Kuchen, der zwei Zimmer weiter angeboten wird, natürlich auch.
Die Bürger – alle 368 Schüler der Schule beim Jakobsweg – sind wie im richtigen Leben Beschäftigte und Konsumenten gleichermaßen. Das Geld, das sie ausgeben, müssen sie selbst verdienen. Wobei jeder Bürger von Pautopia erst mal ein „Startgeld“ bekam, wodurch die Wirtschaft gleich am Montagvormittag in Gang kam – 1948 hat das ja auch so funktioniert. Konflikte gibt es in Pautopia wie in jeder Stadt: Vor dem stadteigenen Gericht wurde schon ein Fall von Schwarzarbeit verhandelt. Die mutmaßliche Schwarzarbeiterin wurde jedoch freigesprochen: Es war ein Missverständnis und kein bewusstes Fehlverhalten.
„Die Schüler haben sich in ihren Firmen vorbereitet,“ lobt die stellvertretende Bürgermeisterin Franziska Daiss ihre Stadtbewohner. Ihre Chefin, Bürgermeisterin Annika März ergänzt: „Die stehen wirklich hinter dem Projekt, deshalb geht es hier so aktiv zu.“