Die Schulleiterin und die Abteilungsleiter mussten ein Büßergewand aus alten Getreidesäcken anziehen. Für alle anderen Lehrer und Schüler aber verlief der „Abischerz“ durchgehend erfreulich, obwohl sie darin keinerlei Erfahrung hatten. In der Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege Winnenden ist es nämlich das allererste Abitur.
19 junge Frauen und Männer, die nun stolze Abiturienten sind, feierten ausgelassen an der Schule beim Jakobsweg. Mit ihnen feierten auch alle anderen Lehrer und Schüler und trugen Wettbewerbe gegeneinander aus. Kenntnisse in Grammatik oder Mathematik waren jetzt nicht mehr gefragt. Getestet wurden unter anderem die Fähigkeiten im Bobbycarfahren und im Sackhüpfen. Die Schüler gewannen. Mit diesem von den Schülern gut organisierten „Abischerz“ ging das erste Abitur in der knapp 200-jährigen Geschichte der Paulinenpflege zu Ende.
19 Abiturientinnen und Abiturienten, 10 aus der wirtschaftswissenschaftlichen und 9 aus dem ernährungswissenschaftlichen Klasse, waren zu den Abitursprüfungen angemeldet. Alle haben ihr Abitur bestanden. Philipp Flödl war mit der Endnote 1,7 der Beste seines Jahrganges.
Im Jahr 2013 starteten die ersten Gymnasiasten mit ihrer Schullaufbahn an der Schule beim Jakobsweg. Das Berufliche Gymnasium ist der neueste Bildungsgang innerhalb der Schule beim Jakobsweg. Das Gymnasium ist ein „sechsjähriges Gymnasium“, d.h. es umfasst die Klassen 8 bis 13. Jedes Jahr rückte eine neue achte Klassen nach – und die damaligen Achtklässler sind inzwischen zwischen 19 und 20 Jahre alt und stolze Abiturienten.
Was das Beste in ihrer Schulzeit in der Paulinenpflege war? Annika Sigle (20) aus Weinstadt sagt: „Die Studienreise nach Israel und ins Westjordanland.“ Ihre Klassenkameradin und jetzt ebenfalls stolze Abiturientin Annika Lang (20) aus Fellbach berichtet: „Die Klassenfahrt nach Sylt war auch spitze!“ Am Ende der 9. Klasse fuhren die Gymnasiasten an die Nordsee, am Ende der 11. Klasse nach Ramallah im Westjordanland zur Partnerorganisatin der Paulinenpflege. Beide jungen Frauen sind schwerhörig und tragen Hörgeräte. Mit diesen Hilfsmitteln können sie sich normal unterhalten, aber nur schwer dem Unterricht in einer normalen Schulklasse folgen. Annika Sigle: „An meiner früheren Schule war es oft sehr laut im Klassenzimmer. Oft konnte ich mich nicht auf die Stimme des Lehrers konzentrieren.“ Englische Diktate von einer CD, wie es beide Schülerinnen an ihren früheren Schulen erlebt haben, gehen auch nicht: Annika Lang: „Ich muss auch von den Lippen ablesen, um Gesprochenes zu verstehen. Da wurde in meiner früheren Schule aber keine Rücksicht darauf genommen.“
Nicht nur die Art, wie die Lehrer ihren Unterricht gestalten, ist in der Schule beim Jakobsweg ganz auf hör- und sprachbehinderte Schüler ausgerichtet. Auch das Gebäude an sich ist mit schallisolierten Räumen und speziellen Lautsprecheranlage dafür konzipiert. In jedem Klassenzimmer gibt es Beamer und spezielle Tafeln, so dass man sehr vieles visuell darstellen kann. Die Hälfte der 12 Schüler einer Gymnasialklasse in der Schule beim Jakobsweg hat eine Behinderung, die andere Hälfte sind sogenannte „Regelschüler.“ Die Regelschüler profitieren ebenfalls von den kleinen Klassen und den besonderen Möglichkeiten in der Schule beim Jakobsweg.
Sichtlich erleichtert nach dem Ende der Abitursprüfungen waren übrigens nicht nur die Schüler. Schulleiterin Beate Löffler: „Das erste Abitur bei uns, dass ist schon etwas sehr Besonderes und ich bin sehr froh, dass jetzt alles so gut über die Bühne ging.“
Auch die "Stuttgarter Zeitung" hat über die Abitur-Premiere berichtet - den Bericht von Redakteur Thomas Schwarz klicken Sie hier!