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"Ich stehe mit Stolz zu meiner Behinderung und meinem Migrationshintergrund"

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Unsere hörbehinderte Kollegin Feyza Önal ist Klassenlehrerin an unserer Schule beim Jakobsweg. Dort unterrichtet sie gehörlose Migrantinnen und Migranten.

Ihren Weg bis zur Lehrerin hat Feyza Önal vor kurzem in der Fachzeitschrift "Schnecke" sehr eindrücklich geschildert:

"Hallo und merhaba! Meine Eltern kommen ursprünglich aus der Türkei. Geboren bin ich in Mainz. Zu Hause habe ich türkisch und im Kindergarten deutsch gesprochen. Ich bin seit der Geburt hochgradig bis an Taubheit grenzend schwerhörig. Links wurde ich sehr früh mit einem Hörgerät versorgt – die CI-Implantation rechts erfolgte erst in meinem 18. Lebensjahr. Auf Empfehlung von Fachleuten haben sich meine Eltern schweren Herzens dazu entschieden, meinen ebenfalls hörgeschädigten Bruder und mich für eine optimale Förderung nach Frankenthal ins Pfalzinstitut für Hören und Kommunikation mit dazugehörigem Internat zu schicken.

Dort habe ich im Alter von sechs Jahren meine gehörlose Zimmerpartnerin kennengelernt, mit der ich über die Lautsprache nicht kommunizieren konnte. Durch sie und weitere Mitschülerinnen und Mitschüler habe ich die Gebärdensprache und Gehörlosenkultur kennengelernt. Die Zeit dort war schön, denn die Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen haben uns die bestmögliche Förderung angeboten und im Internat gab es unvergessliche Aktivitäten und Momente. Nach der 10. Klasse bin ich auf das BBZ in Stegen (ebenfalls mit Internat) gekommen, um dort mein Abitur zu machen. Der Wechsel in ein anderes Bundesland sowie die Umstellung, dass keine Sonderpädagogen, sondern Gymnasiallehrkräfte den Unterricht leiteten, war für mich eine Herausforderung. Doch ich habe, wenn auch mit großer Mühe, das Abitur bestanden.

In dieser Phase war ich als Jugendliche auf der Suche nach meiner Identität. 3 Sprachen – 3 Welten – 3 Kulturen: in all diesen verschiedenen Welten bin ich großgeworden und dennoch habe ich mich nirgends zugehörig gefühlt. In der Türkei werden Deutschtürkinnen und -türken als „Almancı“ (dt.: Deutsche*r) bezeichnet; in der deutschen Gesellschaft bekommt man seinen Migrationsstatus durch Benachteiligungen zu spüren; und für die Gehörlosencommunity war ich zu „guthörend“. Außerdem habe ich mir lange die Frage gestellt, woran es liegt, dass ich keine dieser Sprachen perfekt beherrsche, obwohl ich gut hören kann. Am liebsten wollte ich meine Behinderung und meinen Migrationshintergrund verstecken, um „normal“ zu sein. Heute weiß ich: Normal sein ist langweilig!"

Nach 14 Jahren Internatsleben bin ich für ein Freiwilliges Soziales Jahr wieder zu meinen Eltern gezogen.

Danach wollte ich aus reiner Neugier studieren. Ich wollte Lehramt ausprobieren. Auf Grund der eigenen Betroffenheit wurde mir Sonderpädagogik empfohlen. So kam ich dazu, Sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule (kurz: PH) in Heidelberg mit den Fachrichtungen Hören und Lernen zu studieren. Anfangs war meine Unsicherheit groß und ich war der festen Überzeugung, im Studium nicht weit zu kommen. Ich persönlich kannte niemanden mit einer Hörschädigung und mit Migrationshintergrund, der studiert hat. Durch die Unterstützung der Behindertenbeauftragten der PH, Frau Dr. Bogner sowie durch ebenfalls hörgeschädigte Mitstudierende habe ich gelernt, für meine Rechte im Studium und Alltag einzustehen. Das Studium hat einen großen Beitrag zu meiner Persönlichkeitsentwicklung geleistet, denn dort habe ich mich intensiver mit meiner Behinderung auseinandergesetzt.

Ich habe gelernt, dass es auf Grund meiner Hörschädigung selbstverständlich ist, alle drei Sprachen, mit denen ich großgeworden bin, nicht perfekt zu beherrschen. Ich habe gelernt, stolz zu sein, sie überhaupt zu können. Besonders prägende Momente waren die Anerkennung und Wertschätzung von Dozierenden und Mitstudierenden. Ich habe mich auf Grund meiner Sprachdefizite lange nicht als Lehrerin gesehen. Mir wurde dann gesagt, dass Lehrkräfte zwar ein sprachliches Vorbild sein sollen, es aber für Schülerinnen und Schüler mit Hörschädigung genauso wichtig sei, eine Identifikationsfigur in Form einer hörgeschädigten Lehrperson zu haben.

Durch die Fluchtbewegung im Jahr 2015 sind Klassen mit hörgeschädigten Geflüchteten entstanden, unter anderem in der „Schule beim Jakobsweg“ in Winnenden. Diese eine besondere Klasse hat mich als Studentin sehr angesprochen. Herr Prof. Dr. Hennies hat den Kontakt zur Schule hergestellt und ich durfte dort ein Praktikum machen. Da mir die Arbeit mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund besonders gut gefallen hat, habe ich mich für den weiteren Berufsweg in dieser Schule entschieden. Dort leite ich nun eine Klasse mit hörgeschädigten Migrantinnen und Migranten (darunter auch Geflüchtete) in deutscher Laut- und Gebärdensprache. Ich möchte ihnen zeigen, dass man trotz Migrationshintergrund und Behinderung vieles schaffen kann.

Es ist wichtig, den Fokus nicht nur auf die Defizite der Schülerinnen und Schüler zu legen, sondern auch auf ihre Kompetenzen und Stärken. In der Schule legen wir neben der schulischen Bildung und der Vorbereitung auf das Berufsleben besonderen Wert auf Identitätsarbeit. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit ihrer Behinderung auseinander, wodurch ihr Selbstbewusstsein gestärkt wird – ein wichtiges Thema, das zu meiner Schulzeit gefehlt hat.

Heute stehe ich mit Stolz zu meiner Behinderung und zu meinem Migrationshintergrund. Diversität bedeutet für mich nicht, sich für eine Welt entscheiden zu müssen, sondern überall zugehörig zu sein. Diese Erkenntnis und mein Erfolg wären ohne die Unterstützung meiner Familie, Freundinnen, ehemaliger Lehrkräfte und Dozierenden nicht möglich gewesen. Danke ve teşekkürler!"

P.S. Vor kurzem hat auch das SWR-Fernsehen ein Portrait über Feyza Önal gemacht - klicken Sie bitte hier!

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