„Unsere Schülerinnen und Schüler kommen hier oft an die Schule beim Jakobsweg ohne sich richtig mit ihrem Handicap auseinandergesetzt zu haben. Daher haben wir letztes Jahr die sogenannten ‚IKL-Tage‘ ins Leben gerufen. Hier haben wir mehr Möglichkeiten, als im regulären Unterricht, dass sich unsere Jugendlichen mit ihrer Einschränkung auch kreativ auseinandersetzen“, sagt VAB/BEJ-Abteilungsleiterin Kerstin Friedrich.
„In der Regel gibt es an diesen Tagen drei Gruppen, die nach der jeweiligen Behinderungsart aus allen Klassen zusammengewürfelt sind. Ziel ist es, dass sich die Schülerinnen und Schüler besser mit ihrer eigenen Behinderung auskennen, sie annehmen und besser mit ihr umgehen können und auch wissen, was sie an Unterstützung brauchen und einfordern können. Das alles sind wichtige Bestandteile, die ihre Identität mitformen. Diese Inhalte bearbeiten wir bereits in den ersten Wochen bis zu den Herbstferien. Danach gibt es dann drei Aktionstage über das Jahr verteilt", erläutert Kerstin Friedrich weiter.
Und so hatte die Gruppe „Sprachbehinderung und AVWS“ beim Aktionstag Freelancer und Designer Tobias Bauer vom ETStudio Schwäbisch Hall zu Gast. Gemeinsam mit ihm haben die Schülerinnen und Schüler Sprechblasen-Männchen designet und hergestellt. Ziel war es, durch die Männchen nonverbal auszudrücken und mitzuteilen.
Hier der Bericht der Gruppe:
„Um 8.00 Uhr trafen sich alle in der Maler-Werkstatt und hatten einen Gast: Herr Tobias Bauer aus Schwäbisch Hall. Herr Bauer ist Grafik-Designer von Beruf.
Zuerst stellte sich Herr Bauer vor und wir haben den Tagesablauf besprochen. Wir haben die Skizzen für unsere Sprechblasen-Männchen gemacht. Als nächstes ging es in die Holz-Werkstatt. Da haben wir die Füße aus Holzklötzchen gemacht und mit große Dübel als Beine benutzt. Dazu wurden die Dübel auf die passende Länge gesägt und an den Füßen befestigt.
Die Sprechblase haben wir aus einer Holzplatte zugesägt und die Skizze auf die Sprechblase drauf gezeichnet. Anschließend haben wir die Sprechblase angemalt. Zum Schluss haben wir die Beine an der Sprechblase befestigt.
Zum Abschluss haben wir noch Stofftaschen mit diesen Männchen bedruckt.“
Die Gruppe „Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit“ waren beim Aktionstag in Stuttgart auf Tour. Hier ihr Bericht:
„Wir trafen uns zu Schulbeginn in einem Klassenzimmer. Dort erhielten die Schülerinnen und Schüler eine kleine Einführung zum Thema Vereine (Aufbau, Inhalte, Aufgaben) und wie die Vereine für Gehörlose international und national aufgestellt sind.
Danach fuhren wir um 9:30 Uhr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Stuttgart, um uns das Gehörlosenzentrum dort anzuschauen. Wir wurden sehr freundlich von Philip Bleicher – dem Vorsitzenden des Landesverbands der Gehörlosen Baden-Württemberg e.V. – empfangen und durch die Räumlichkeiten geführt. Dabei erzählte er und weitere Vertreter der Vereine uns vieles zu den Räumen und den Aktivitäten des Vereins. So werden, zum Beispiel, häufig Nachmittagstreffen im Haus und Ausflüge für gehörlose und schwerhörige Senioren organisiert. Der Gemeinschaftsraum mit Bar bietet auch für jüngere „Gebärdensprachler*innen“ die Möglichkeit, sich auszutauschen. Dort finden auch häufig die Siegesfeiern der GSG Stuttgart 1923 e.V. statt. Im Zimmer des Vereinsvorstandes der GSG konnten wir auch die zahlreichen Pokale bewundern.
Nach der ausführlichen Führung durch das Gehörlosenzentrum Stuttgart liefen wir zum Mittagessen in die Innenstadt. Dort konnten die Jugendlichen selbstständig ihre Mittagspause verbringen, bevor wir gemeinsam wieder zurück zur Schule fuhren.
Bei der anschließenden gemeinsamen Reflexions- und Feedbackrunde stellte sich heraus, dass die Jugendlichen viel Spaß hatten und es sie sehr interessiert hat. Viele wussten bisher nicht, dass es diese Möglichkeit des Austauschs für Gehörlose und Schwerhörige gibt, weshalb der Ausflug sehr wichtig für unsere Schüler*innen war.“
Auch für die Autismus-Spektrum-Gruppe gab es etwas ganz Besonderes außerhalb der Schule beim Jakobsweg zu erleben:
„Einmal bei den Stuttgarter Philharmonikern die erste Geige spielen...
...dieser Traum wurde für unsere Schüler*innen mit Autismus sowie deren Lehrkräfte und Freiwilligendienstleistenden beim beeindruckenden Workshop PHILHARMONIC LAB Wirklichkeit. Musikvermittler und Pianist Marcus A. Caratelli ermöglichte u.a. ein Orchester zum Anfassen. Und so durften die Jugendlichen auch selbst mal Geige oder Klavier spielen. Spannend waren auch seine Infos: Zum Beispiel, dass eine 35.000 Jahre alte Flöte, die in einer Höhle auf der Schwäbischen Alb gefunden wurde, wohl das allererste Instrument war. Dass die Vorgängerin der Geige einen Migrationshintergrund hat. Oder dass das Klavier nicht nur ein Tasten-, sondern auch ein Saiteninstrument ist.
Während vor 600 Jahren nur bestimmte Harmonien zum Komponieren erlaubt waren, ist heutzutage alles möglich: So startet z.B. die Titelmelodie der TV-Serie "Simpsons" mit einer unverkennbaren Disharmonie. Und da auch Kino-Blockbuster nicht ohne Soundtracks von Orchestern wie den Stuttgarter Philharmonikern denkbar sind, war ein faszinierender Schwerpunkt des Workshops von Marcus A. Caratelli Filmmusik - welche Musik passt zu welcher Filmszene, mit welcher Tonlage oder welchem Instrument wird welche Stimmung erzeugt? Richtig dramatisch wird es mit tiefen Hörnern, Pauken und Schlagwerk - eher fröhlich mit Gitarre, Klavier und Flöte.
Wie im Film war auch das absolute Highlight des Tages: Die Workshop-Teilnehmer*innen von unserer Schule beim Jakobsweg durften eine Stunde lang live bei der öffentlichen Probe des gesamten Orchesters für eine Strawinsky-Aufführung in der Liederhalle dabei sein. Und nicht nur das ist Schüler*innen aus dem Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf in Erinnerung geblieben: ‚Ich freue mich, dass viele gerade auch den Musik-Theorieteil als bereichernd empfunden haben. Herr Caratelli hat das sehr anschaulich aufbereitet‘, sagt Sonderschullehrer Stephan Lorenz nach der Feedbackrunde. Und so gibt's hoffentlich auch im nächsten Jahr wieder die Chance, hinter die Kulissen der Stuttgarter Philharmoniker zu schauen und zu lauschen“