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„Man muss auch selbst die Ärmel hochkrempeln und nicht nur jammern“

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Unser gehörloser Gebärdensprachdozent Christian Hermann hat als BBW-Azubi in der Paulinenpflege angefangen und unterrichtet jetzt an der Schule beim Jakobsweg.

Wenn man Christian Hermann eine Frage stellt, dann sprudelt es aus ihm heraus – kein Wunder der 43-jährige Gebärdensprachdozent hat viel zu erzählen. Natürlich alles in Gebärdensprache, denn das ist seine Muttersprache. Seit 2010 unterrichtet er an der Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege die Fächer „Gehörlosenkultur“ und „Deutsche Gebärdensprache“. Ihm sind aber nicht nur die Inhalte dieser Fächer wichtig: „Es ist für unsere gehörlosen Schülerinnen und Schüler so wichtig, dass sie gehörlose Lehrerinnen und Lehrer haben, die dann auch Vorbilder werden können. Mit meiner Arbeit möchte ich ihnen sagen, dass man als hörbehinderter Mensch zwar Unterstützung bekommt, aber vor allem selbst die Ärmel hochkrempeln muss und nicht nur jammern. Ich musste mich auch immer wieder durchkämpfen.“

Und er weiß, wovon er spricht. Christian Hermann ist seit seiner Geburt gehörlos: „Das wurde festgestellt, als ich etwa ein Jahr alt war. Meine Eltern sind beide hörend, daher hat niemand damit gerechnet.“ In seiner Kindheit bekommt Christian Hermann viel Förderung: z.B. Logopädie und Hörgeräte. Und er kommt in den Kindergarten für hörbehinderte Kinder in der Immenhoferschule Stuttgart. Danach folgen die St. Josef Grundschule für Hörgeschädigte in Schwäbisch Gmünd. „Und dann hatte ich Glück, dass dort in dieser Zeit die Realschule gegründet wurde, die ich anschließend besucht habe“, erinnert sich Christian Hermann.

Da er aus dem Remstal kommt, war es für ihn praktisch, dass gleich um die Ecke das Berufsbildungswerk Winnenden der Paulinenpflege war und er dort im Jahr 1997 seine Ausbildung als Bauzeichner beginnen konnte. Darauf folgten vier Jahre Arbeit in der freien Wirtschaft, doch dann ging es in der Branche abwärts, Bauzeichner waren immer weniger gefragt. Sein Arbeitgeber musste Insolvenz anmelden.

Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit entschließt sich Christian Hermann etwas ganz Neues in Angriff zu nehmen: „Ich bin nach Wilhelmsdorf zu den Zieglerschen und habe dort die Ausbildung zum Arbeitserzieher absolviert. Damals gab es dort eine eigene Klasse für gehörlose Azubis. Und dann kam wieder die Paulinenpflege ins Spiel. Ich musste das Anerkennungsjahr machen. Da habe ich eine Initiativbewerbung an das Berufsbildungswerk geschickt. Die bekam mein früherer Bauzeichner-Ausbilder in die Hände und hat mich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen.“ Und so landete Christian Hermann zum zweiten Mal in der Paulinenpflege: „Dieses Mal auf der anderen Seite. Ich war jetzt nicht mehr der Azubi, sondern musste die Azubis und Klienten unterstützen. Das war eine ganz neue Erfahrung.“.

Eine ganz neue Erfahrung war es auch für seinen nächsten Arbeitgeber, ihn nach seiner Ausbildung zu beschäftigten: „Es war etwas Besonderes für die Lebenshilfe Kirchheim/Teck. Einen gehörlosen Arbeitserzieher hatten sie vorher noch nie. Ich war Gruppenleiter in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Dort habe ich Beschäftigte mit geistiger Behinderung angeleitet und unterstützt. Auch wenn ich und die Klienten verschiedene Behinderungen hatten, wir waren doch irgendwie verbunden.“

Trotzdem hat es Christian Hermann, der nebenbei schon an der vhs Stuttgart doziert hatte, in die Gehörlosenwelt zurückgezogen und damit zum dritten Mal in die Paulinenpflege: „Im Internet war 2010 eine Stelle für einen Gebärdensprachdozenten am Berufskolleg Gebärdensprache ausgeschrieben.“ Christian Hermann bewirbt sich und wird erneut genommen. „Man kommt einfach immer wieder zurück in die Paulinenpflege. Die Paulinenpflege hat mir immer wieder Glück gebracht. Es war schön wieder hierher zurückzukehren, weil ich hier schon viele Leute kannte und schon ein gutes Netzwerk hatte.“ Nebenbei macht er von 2012 bis 2015 noch die Ausbildung zum staatlich anerkannten Dozent für Deutsche Gebärdensprache. Und er arbeitet anfangs ein paar Jahre noch zusätzlich als Internatsmitarbeiter seiner Schüler.

Inzwischen unterrichtet Christian Hermann in so ziemlich allen Bildungsgängen der Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege: Zum Berufskolleg Gebärdensprache sind das Berufliche Gymnasium, das Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf, die Berufsschulstufe und die Alltagsbetreuer-Ausbildung dazugekommen. Ein Job, der ihm großen Spaß macht, besonders im Berufskolleg: „Dort ist das ein Geben und Nehmen. Ich bringe den Schülern Gebärdensprache bei und sie sorgen dafür, dass ich in der deutschen Grammatik besser werde. Sie verbessern mich, wenn ich da Fehler mache. Da lerne auch ich dazu“, freut sich Christian Hermann.

Auch außerhalb der Paulinenpflege hat er immer zu tun: Er ist so etwas wie „Influencer“ und immer wieder an verschiedenen Medien-Projekten beteiligt. U.a. hat er mit seiner Frau ein Gebärdensprachen-Lexikon bei Instagram @deutsche_gebaerdensprache_stgt installiert. Auch @grillys_taube_welt ist sehr beliebt. Für den „Marktcheck“ im SWR-Fernsehen hat er die Barrierefreiheit eines Stuttgarter Kaufhauses geprüft. Christian Hermann freut sich immer über neue Herausforderungen: „Man braucht nur Mut und muss einfach mal Dinge ausprobieren. So bin ich in vieles reingewachsen.“

Ab und zu braucht auch ein Powermann wie Christian Hermann Zeit zum Durchatmen und so holt er sich Kraft bei Wanderungen – allein, mit der Familie oder in der Gehörlosengemeinschaft. 

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Gebärdensprachdozent Christian Hermann im Unterricht am Berufskolleg Gebärdensprache der Paulinenpflege.
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Christian Hermann im Anerkennungsjahr als Arbeitserzieher.
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Christian Hermann mit anderen Azubis während seiner ersten Ausbildung als Bauzeichner.