„Mein Ding waren schon immer Sprachen, daher wollte ich zunächst Dolmetscherin werden. Als ich in einem Berufskunde-Flyer sah, wie Dolmetscherinnen dargestellt wurden, nämlich mit Kostümchen und inmitten wichtig erscheinender Männer, wusste ich: Das ist nichts für mich“, erinnert sich Sonderpädagogin Eva Rustemeier im Rückblick an die späten 70er-Jahre. Für die Paulinenpflege war der Prospekt ein Glücksfall, denn so ging ihr Berufseinstieg in eine andere Richtung: „Ich habe dann auf Empfehlung meines Großcousins und Entwicklers der Hörgeschädigtenpädagogik Prof Dr. Klaus Schulte in Köln Sonderpädagogik studiert. Und eben dieser Verwandte hat mir dann auch eine Bewerbung an der Paulinenpflege empfohlen.“
Und so ist die im Rheinland geborene Eva Rustemeier im August 1987 als Sonderschullehrerin in der damaligen Werkstufe und dem Berufsvorbereitungsjahr für hörgeschädigte Schüler der Paulinenpflege eingestiegen. „Vom Sizilien-Urlaub direkt in die schwäbische Lehrerkonferenz – das war schon ein Kickstart. Das Vokabular war neu für mich: Es hieß die Buaba-Klass, die Mädles-Klass und die schwache Klass. Trotzdem habe ich nach kurzer Zeit gemerkt: Hier bin ich richtig. Meine Vorgesetzten Ernst Vosseler und später Christoph Beutter und das Kollegium haben mich von Anfang an unterstützt und mir viel Wertschätzung und Vertrauen entgegengebracht. Ich hatte gleich viel Verantwortung, konnte mich pädagogisch austoben und in die für mich fremden Bereiche Hörschädigung, Gebärdensprache und Berufliche Schulen einarbeiten.“
Zum Austoben gehörte u.a. auch das Entwickeln von Aufnahmetests für die zukünftigen Schülerinnen und Schüler und die Einführung von ausführlichen Berichten statt nur Notengebung: „Mir war wichtig, darzustellen, was unsere hörbehinderten Jugendlichen können und nicht, was sie nicht können.“ Und damit hat sie sich, ohne es bewusst anzugehen, als Führungskraft empfohlen. In einem ihrer Dienstzeugnisse wird ihr bescheinigt: „Besonders stark ausgeprägtes Durchsetzungsvermögen, nicht im Sinne von Macht, sondern von Kompetenz“.
Wichtig für ihren weiteren Werdegang war ihre damalige Vorgesetzte Beate Löffler: „Sie hat mich als Pflänzchen großgezogen, vor allem gezogen und geschoben und umgetopft.“ Zuerst wird sie zur Abteilungsleiterin der damaligen Werkstufe an der Heimsonderschule (später: Berufsschulstufe) „gezogen“. In diese Zeit fällt auch ein großer Meilenstein der Berufsschulstufe – Planung, Bau und Eröffnung des neuen Schulgebäudes in der Lange Gasse 3 im September 2013.
Wichtiger als das Gebäude sind ihr allerdings nach wie vor die Menschen: „Ich bin Sonderpädagogin mit Leib und Seele. Ich finde es toll, Menschen mit Handicaps begleiten zu können. Dabei ist es vor allem auch wichtig, die Menschen da abzuholen, wo sie gerade emotional sind, gemeinsam in ihre Stimmung reinzugleiten und nicht gleich schnelle Lösungen anzubieten. Mir sind so viele originelle Menschen mit krummen Schulbiographien begegnet. Sich darauf auf Augenhöhe einzulassen, hat mir immer Spaß gemacht“, sprudelt es aus Eva Rustemeier heraus. Eine ihrer großen Fähigkeiten ist Empathie, „die unkontrolliert einfach passiert“.
Im Laufe ihrer Karriere erweitert sich das Klientel mehr und mehr: Ab 2014 ist sie zusätzlich zur Berufsschulstufe auch für das Berufskolleg Gebärdensprache der Schule beim Jakobsweg verantwortlich. „Das war nochmal ein großer Sprung. Hier hatte ich es plötzlich auch mit Regelschülern zu tun und in den Prüfungen ging es um die Fachhochschulreife. Auch hier wurde ich von bereits erfahrenen Kolleginnen und Kollegen unterstützt.“
2017 hieß es dann „Back to the Roots“ mit einer Berufung zur Abteilungsleitung Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf, Berufseinstiegsjahr und weiterhin Berufsschulstufe: „Jetzt hatte ich die Bereiche unter mir, in denen ich damals als Sonderschullehrerin angefangen hatte. Größtenteils war noch dasselbe Personal da. Aber ich war in einer neuen Rolle. Ich habe hier erlebt, wie gewinnbringend die Reibung und Zusammenarbeit zwischen Handwerksmeistern und Lehrkräften in diesen Bereichen ist. Verschiedene Professionen sorgen dafür, dass alles immer wieder auf den Prüfstand gestellt wird“.
Ab 2020 ist Eva Rustemeier dann Stellvertretende Schulleiterin oder eher Corona-Managerin der Schule beim Jakobsweg: „In dieser Zeit war ich vor allem mit Krisenmanagement, Pionierarbeit, Schulschließung, Testcenter, mobiler Impfstation, Online-Tagungen und vielem mehr beschäftigt. Ich habe mich gefühlt wie Angela Merkel: Ich kann das – ich schaffe das. Und das Kollegium war sehr dankbar, dass ich die Rolle als ‚Corona-Tante‘ gerne angenommen hatte.“
Der krönende Abschluss der Paulinenpflege-Karriere ist dann Jobsharing-Schulleiterin im Schuljahr 2023/24 gemeinsam mit ihrem Kollegen Friedemann Bär. „Ich hab’s genossen Schulleiterin zu sein, wenn’s auch organisatorisch in diesem Teilzeit-Modell nicht immer einfach war. Friedemann war in der ersten Wochenhälfte da, ich in der zweiten. Ohne ausführliche Übergaben und unsere engagierte Stellvertretung Corinna Schuster wäre das nicht möglich gewesen. Alles in allem noch einmal eine spannende Erfahrung“, freut sich Eva Rustemeier.
Letzte Woche war der offizielle Abschied mit vielen bewegten und bewegenden Beiträgen ihrer Kolleginnen und Kollegen aus der Schule beim Jakobsweg, wie z.B. im Rollenspiel „School’s out for Eva“. Und nicht nur deshalb wird die 64-jährige Fellbacherin einiges vermissen in ihrem neuen Lebensabschnitt: „Es wird mir fehlen, Teil eines Kollegiums mit einer stets fröhlichen und humorvollen Atmosphäre zu sein. Ich war immer sehr gerne in Gesellschaft mit den Kollegen – egal in welcher Rolle.“
Und da gab es eine ganz besondere bei zahlreichen Schulabschlussfeiern – Eva Rustemeier als Miss Sophie in „Dinner for one“ in Gebärdensprache. Nicht nur hier konnte sie sich als rheinländische Frohnatur unter vielen Schwaben ausleben und total wohlfühlen. Leider heißt es jetzt nicht mehr: „The same procedure as every year“.