Für einen Tag durfte ich in eine für mich neue Welt eintauchen, denn im Normalfall studiere ich „BWL-Dienstleistungsmanagement im Non-Profit-Bereich". Als ich aber am vergangenen Mittwoch den Seniorentreff im MGH besuchte, lernte ich die Welt einer Heilerziehungspflegerin näher kennen.
Am Morgen nimmt mich Arbeitserzieher Rafael Kusterer freudig in Empfang und zeigt mir zunächst die Räumlichkeiten des Seniorentreffs: Ein Bastelzimmer mit wunderschönen Kunstwerken der Klienten, eine Küche, ein Speisesaal, verschiedene Räume zum Puzzeln, Spiele spielen, Zeitschriften lesen oder einfach nur zum Ausruhen. Ich erfahre, dass eigentlich jeder der Klienten, die regelmäßig den Seniorentreff besuchen, einen Stammplatz hat. Wie die Bezeichnung „Seniorentreff" schon sagt, ist dieser dafür da, berenteten Bewohnerinnen und Bewohnern der Wohnangebote Behindertenhilfe regelmäßig von Montag bis Freitag Raum und Zeit für deren Alltag zu bieten. Insgesamt sind etwa 40 Personen für den Seniorentreff angemeldet. Hiervon sind etwa 25 Personen „Stammgäste".
Bei unserem Rundgang erreichen wir schließlich einen Raum, in dem Amelie Giusto und Susanna Klink, beides Mitarbeiterinnen der Taubblindenarbeit, gemeinsam mit dem gehörlosen und fast blinden Arthur Mai Gleichgewichtsübungen machen. Fasziniert bleiben wir stehen und ich erfahre, dass heute Tag der Taubblindenarbeit ist. Im Seniorentreff hat nämlich jeder Tag ein eigenes Thema.
Arthur Mais Aufgabe ist es, mit verbundenen Augen eine der zwei Mitarbeiterinnen zu fangen. Die Augen werden verbunden, damit Arthur Mai wirklich gar nichts mehr sieht und sich ganz auf die Übung einlassen kann. Die zwei Mitarbeiterinnen erzählen mir, dass sie diese Übung seit etwa einem halben Jahr jeden Mittwoch mit ihm durchführen. Arthur Mai hat in dieser Zeit große Fortschritte gemacht. Zu Beginn war er noch sehr wackelig, doch mittlerweile führt er die Übung sehr gut aus.
Es geht weiter: Die zwei Klienten Karoline Tavernier und Herbert Schmittinger warten nämlich schon gebannt auf Rafael Kusterer, um in die Stadt zu gehen. Karoline Tavernier möchte ihre geliebten Freizeitspaß-Zeitschriften kaufen und Herbert Schmittinger hat heute Geburtstag und wird daher auf einen Geburtstagskaffee eingeladen.
Wieder zurück, gehe ich in einen der Aufenthaltsräume, in dem es mittlerweile lebhaft zugeht. Einer der Klienten schaut sich zum Beispiel das neue Guinness World Records Buch an. Als ich auf ihn zugehe, beginnt er sofort, mir angeregt Ausschnitte aus seiner spannenden Lebensgeschichte zu erzählen.
An den Nachbartischen wird zur selben Zeit Mensch-ärgere-dich-nicht und Rommikub gespielt. Ich höre, wie Heilerziehungspfleger-Auszubildende Maria Ouzouni zu Klient Gerhard Günther sagt: „Einmal will ich gegen dich gewinnen.". Er scheint wohl unbesiegbar zu sein und strahlt deswegen bis über beide Ohren.
Ich gehe weiter zu Rafael Kusterer, der schon seit 10 Jahren hier im Seniorentreff arbeitet. Ich frage ihn nach seinem persönlichen Highlight dieser 10 Jahre. „Es gibt viele besondere Momente immer wieder.", antwortet er. Was ihm aber besonders in Erinnerung geblieben ist und auch bleiben wird, ist die Hochzeit der zwei Klienten Werner und Ursula. Der damals schwer kranke Werner hatte sich wohl seit Jahren gewünscht, seine Ursula heiraten zu dürfen.
Dies hat Rafael Kusterer gemeinsam mit dem Seniorentreff-Team 2014 Realität werden lassen und so wurden Werner und Ursula im Gottesdienstraum in Winnenden kirchlich getraut. Rafael Kusterer kann sich noch genau an die Worte des mittlerweile leider verstorbenen Werners erinnern, nämlich: „Ich fühle mich wie ein König!". Auch Ursula kann sich noch gut an diesen wunderschönen und unvergesslichen Tag erinnern. Die Trauringe hat sie natürlich auch noch bei sich. Und für was lohnt es sich jeden Tag aufs Neue aufzustehen und hierher zu kommen? „Für die begeisterten Menschen, die sich auf und über einen freuen. Ich kann helfen und ich werde gebraucht." Das kann ich sehr gut verstehen, Rafael!
Amelie Giusto hat in der Zwischenzeit für den taubblinden Bewohner Werner Bittner ein lauwarmes Wasserbad für seine Hände eingelassen. Werner Bittner ist einer von vier seh- und hörbehinderten Klienten, die den Seniorentreff besuchen. Allerdings ist er der einzige, der wirklich komplett gar nichts mehr sehen kann. Für die seh- und hörbeeinträchtigten Menschen ist eine basale Stimulation der Hände oder Füße sehr wichtig, erklärt mir Amelie Giusto. Durch eine basale Stimulation werden Wahrnehmungsbereiche aktiviert und Körper- und Bewegungserfahrungen angeregt. Anhand der Mimik von Werner Bittner ist zu erkennen, ob es ihm gefällt oder nicht. Er lächelt, also massiert Amelie Giusto sorgsam seine Hände in dem Wasserbad.
In der Küche stoße ich auf die Auszubildende Maria Ouzouni, die gerade das Trinkverhalten einer Klientin dokumentiert. Ich frage sie: Deine Ausbildung endet diesen Monat, richtig? Weißt du denn schon, wie es danach weitergeht? „Ja genau, Ende dieses Monates bin ich mit meiner Ausbildung fertig. Danach wäre ich gerne hier geblieben. Da es derzeit aber keine freie 100%-Stelle gibt, werde ich immerhin noch einmal die Woche in den Seniorentreff kommen. Langfristig hoffe ich, dass ich zu einem höheren Anteil zurückkommen kann." Da drücken wir dir natürlich die Daumen! Und was hat Maria Ouzouni in den letzten drei Jahren an Aufgaben gehabt?
Zu ihrem Ausbildungsalltag gehört es, mit den Bewohnern spazieren zu gehen, Brettspiele zu spielen oder zum Beispiel den wöchentlichen Winnender Markt zu besuchen. Außerdem sind pflegerische Tätigkeiten, Dokumentationen, das Richten und Geben von Medikamenten oder das Geben von Mittagessen, Teil ihres Arbeitsalltages. Letztendlich heißt es, Tag für Tag für die Klienten da zu sein, sie zu betreuen und zu unterstützen.
Das Highlight der letzten drei Ausbildungsjahre: „Auf jeden Fall die Ausflüge! Wir waren zum Beispiel in einem Dino-Museum oder in der Wilhelma."
Und was war besonders schwer und herausfordernd? „Am Anfang waren es die Klo-Gänge mit den Klienten, aber mit der Zeit geht es dann. Der Umgang mit Menschen mit psychischer Erkrankung finde ich auch herausfordernd. Es ist nicht immer leicht, geduldig und nett zu bleiben. Den Umgang mit Menschen mit einer körperlichen Behinderung finde ich dagegen viel leichter."
Was Maria Ouzouni besonders toll an ihrer Arbeit findet, ist, dass jeder Tag anders ist. „Jeder Tag ist ein Abenteuer.", sagt sie.
Die Zeit vergeht wie im Flug, denn nach unserem Gespräch ist schon Zeit fürs Mittagessen. Gemeinsam gehen wir alle in den Speisesaal und stillen unseren Hunger.
Anschließend ist es für mich dann leider auch schon an der Zeit, Abschied zu nehmen. Obwohl ich keine Gebärdensprache spreche, konnte ich mich mit den Klienten verständigen und es war sehr schön zu sehen, wie gut es den berenteten Bewohnern hier im Seniorentreff geht.
Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Bewohnerinnen und Bewohnern des Seniorentreffs für ihre Gastfreundschaft und für diesen wundervollen und eindrucksreichen Besuch. Ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen :)