„Langeweile hat in ihrer Umgebung keine Chance“ das schreibt schon 2004 die „Winnender Zeitung“ über sie – genau dieselbe Erfahrung hat auch der gelernte Straßenbauermeister Hermann Lang mit Paulinenhof-Bewohnerin und Rentnerin Brigitte Gürtler gemacht. Im Rahmen einer Facharbeit für seine berufsbegleitende Heilerziehungspflege-Ausbildung hat er mit der 71-Jährigen mit Lernbehinderung ihre Biographie erstellt. „Besonders charakteristisch für Brigitte ist, dass sie auf den ersten Blick eine harte Schale, aber dann doch einen sehr herzlichen Kern hat“, erzählt Hermann Lang.
Er arbeitet schon einige Jahre im Freizeitbereich „Club Paula“ der Paulinenpflege und kennt daher Brigitte Gürtler schon länger. Jetzt hat er sie noch besser kennengelernt und ihren harten Kern ganz schnell geknackt - ihre Lebensgeschichte findet er beeindruckend: „Trotz eines schwierigen Starts hat sie ein schönes und lebenswertes Leben.“
Brigitte Gürtler erinnert sich noch genau an ihre Kindheit: „Ich bin mit dreieinhalb Jahren ins Kinderheim gekommen und wenig später in eine Pflegefamilie bei Steinheim/Murr. Die hatten eine Nebenerwerbslandwirtschaft mit Geflügel, Pferden und Schweinen. Da habe ich mitgeholfen, z.B. bei den Mäharbeiten. Teilweise noch mit Hand oder auch mit einem Agria-Mäherle.“ Zur Schule ist sie in die Pestalozzischule in Backnang und später dann in eine Sonderschule in Ludwigsburg gegangen. Als zuerst der Pflegevater und dann auch ihre Pflegemutter gestorben ist, konnte sie zwar dort noch wohnen bleiben, aber längerfristig musste für Brigitte Gürtler eine neue Heimat gefunden werden. Und die war ab 1993 der Paulinenhof: „Als ich mich dort vorgestellt habe, war mir klar, dass das zu mir passt. Tiere und Landwirtschaft wollte ich weiterhin um mich haben. Und ich konnte auch meinen Hund dorthin mitnehmen“, erzählt Brigitte Gürtler.
Der damalige Hofleiter Dietmar Oppenländer teilt sie zur Kälberpflege ein. Als dann 2005 auf Mutterkuhhaltung umgestellt wurde, landet sie wieder bei den Hühnern: „Mein erster Gedanke war – nicht schon wieder Hühner, die haben mich schon bei meiner Pflegefamilie genervt. Ich will lieber weiter mit Großtieren arbeiten. Aber irgendwie habe ich mich dann doch mit dem Federvieh angefreundet. Später war ich dann auch für das Eiersortieren und das Kartoffelwiegen zuständig.“ Ihr damaliger Chef beschreibt sie als „Allrounderin“. Darauf ist sie heute noch stolz.
Inzwischen ist sie in Rente, wohnt aber weiterhin auf dem landwirtschaftlichen Betrieb der Paulinenpflege. Und ein Tier ist ihr geblieben: „Das ist meine Katze. Die ist schon alt, da muss ich gut für sie sorgen. Manchmal ärgert sie mich auch und kommt nachts spät heim. Dann muss ich halt länger wach bleiben“, sagt die besorgte Katzenmutter. „Die Liebe zu den Tieren ist bei Brigitte bemerkenswert. Egal, ob Kälber, Hühner oder jetzt bei der Katze. Eigentlich möchte sie ja auch in den Urlaub fahren, aber das stellt sie hinten an, weil sie ja auf die Katze aufpassen muss“, erzählt Hermann Lang.
Eine weitere Eigenschaft fasziniert ihn: „Sie hat immer noch sehr geschickte Hände. Brigitte hat ja das Stricken schon von ihrer Pflegemutter gelernt. Demnächst bietet sie bei uns im Club Paula eine Häkel-Fortbildung für unsere Menschen mit Behinderung an.“ Auf dem Paulinenhof werkelt sie weiterhin im eigenen Garten, baut Gemüse an und kocht Marmelade. Und natürlich strickt sie.
Dienstag und Donnerstag sind fest für das Club-Paula-Angebot für junge Rentnerinnen und Rentner reserviert und auch abends schaut sie öfter im Freizeitbereich der Paulinenpflege vorbei. „Sie wird immer mehr zum Genießerle und sieht ihr Rentnerdasein positiv. Das ist schön, zu beobachten. Da freut man sich schon ein bisschen auf den eigenen Ruhestand“, sagt Hermann Lang verschmitzt. Für ihn steht jetzt aber erst noch die Schulfremdenprüfung zum Heilerziehungspfleger an und er hofft auf viele weitere bunte Jahre in der Paulinenpflege: „Unsere Menschen mit Behinderung sind das Beste hier, es sind echte Originale, von denen man viel lernen kann. Wie man auch an Brigitte sieht.“